Der Phantast im Elfenbeinturm

Mindestlöhne – „auf keinen Fall“. Das Verdikt eines kurzen Videoclips der Süddeutschen Zeitung. Ich bin entrüstet, indigniert, angepisst sozusagen von der Dezidiertheit des Wirtschaftsredakteurs Marc Beise. Seine Meinung in Ehren – doch für einen Redakteur zu indifferent. Und darum geht’s: Warum Mindestlöhne eine teuflische Idee seien. Herr Beise erklärt, daß es zweifelsohne unerträgliche Zustände für so manche Arbeitnehmer mit 4, 3 oder 2 Euro Stundenlohn gebe. Aber:

„Die Grundregeln der Ökonomie sind so falsch meistens nicht – auch wenn man sie im Einzelfall der Wirklichkeit anpassen muß.“

Die ultimative Lösung für jenes Problem seien Tarifverträge: Da, wo keine Mindestlöhne gezahlt werden, solle man in organisierter Ordnung den Ausweg finden. Das deutsche Tarifvertragsgesetz, welches sich genau mit dieser Materie beschäftigt, ist älter als Herr Beise selber, nämlich 64 Jahre. Die ökonomische Realität liegt fernab davon – ansonsten würde es ja keiner Mindestlöhne bedürfen, oder? Daß im Übrigen alle jene, die gewerkschaftlich organisiert sind, von der Mindestlohnproblematik gerade nicht erfaßt sind, führt diese Lösung in’s Abseits. Dennoch lehnt Beise Mindestlohn ab, denn gäbe es ihn,

„ …macht er damit Arbeit teurer und dann führt das fast zwingend zu einer höheren Arbeitslosigkeit“ und „ … es ist immer noch besser, jemand hat Arbeit als jemand hat keine Arbeit.“

Es ist immer noch besser, jemand hat Arbeit als jemand hat keine Arbeit. Das kann man so sehen als konservativer Deutscher. Man kann aber auch entscheiden, daß man sich nicht entwürdigt für einen Drecks-Job. Würde ist ein weiter Begriff: Kann der Familienvater, der zwei Kinder ernähren muß frei und würdevoll seine Arbeit wählen? Wie weit geht ein Mensch, wenn es um Arbeit geht? Auf 4, 3 oder 2 Euro die Stunde hinab? Für Menschenwürde ist der Staat da. So Beise. Mit dieser Aussage hat er sich zu weit vorgewagt: Menschenwürde wächst aus dem Entwurfsvermögen des Einzelnen. Der Staat schützt diese, richtig. Doch wie kann man einem Unternehmer von der Verantwortung für menschenwürdige Behandlung seiner 2-Euro-Jobber einfach so freisprechen, wie Beise es tut? Herr Beise sollte Würde im Kontext mit Kapitalismus vorsichtig verwenden. Er glaubt offensichtlich noch an die Regulierungsfunktion „des Marktes“, wo es gutes Geld für gute Arbeit gibt. Hoppla – ging es hier nicht um schlechtes Geld für gute Arbeit? Ach ja – Einzelfälle, die man eben „…der Wirklichkeit anpassen muß.“