Die Gesundheit und ihr Preis

Die Lösung der meisten Staaten ist keine neue: es soll mit Geld geholfen werden. In der Essenz bedeutet das neue Verschuldung von Staatskassen durch das Aushändigen von Steuergeldern an seine eigenen Leistungsträger. Wollen die Staaten eine weitere Inflation vermeiden, so fragt sich wann und wie dieses Geld wieder erarbeitet werden soll. Und die Frage scheint überflüssig, durch wen dieses Geld wieder erarbeitet werden wird. Momentan bleibt das System von Kapitalakkumulation nach oben durch "Finanzspritzen" erhalten: Eigentum verpflichtet noch immer nicht, sondern wird weiterhin garantiert durch den Fluss von Steuergeldern zum Erhalt des Status quo, wie Miete und Überbrückung von unternehmerischen Ausfällen.

Ein Kommentar in der DW (Deutsche Welle) warnt vor den Folgen der Viruseindämmung um jeden Preis. (https://flip.it/LBuoPw)

Dort wird Francis Bacon zitiert, wonach das Heilmittel schlimmer sein kann als die Folgen. Der US-Präsident faßt diese Haltung in seinen jüngsten Äußerungen zusammen. Doch auch tatsächliche Experten üben Kritik an Isolationsmaßnahmen zur Deckelung der Virusverbreitung.

“We put a lot of weight on saving lives,” said Casey Mulligan, a University of Chicago economist who spent a year as chief economist on Mr. Trump’s Council of Economic Advisers. “But it’s not the only consideration. That’s why we don’t shut down the economy every flu season. They’re ignoring the costs of what they’re doing. They also have very little clue how many lives they’re saving.”

Es wird verhohlen eine Rechnung aufgemacht, die sich niemand zu publizieren wagt. Eine Aufrechnung von Menschenleben.

Es wurde und wird immer von drohenden Wirtschaftskrisen geredet. Wie ein Damoklesschwert schwebt dieser Begriff jedes Mal, wenn es um die Verteidigung des status quo economica geht, als ultima ratio über den Köpfen westlicher Gesellschaften. Jetzt aber liegt der Focus einzig und allein auf sozialer Distanz und angemessenem Sozialverhalten aller. „Alle“ bezeichnet die Gruppe gefährdeter Individuen, den Menschen an sich also, losgelöst von sozio-ökonomischem Status. Momentan erhören Regierungen die Wissenschaft. Es herrscht eine Zeit der Unsicherheit, wo Analysten und Wirtschaftswissenschaftler nichts beizutragen haben, sondern Mediziner, Pflegekräfte, Paketauslieferer, Lkw-Fahrer, etc.

Inzwischen scheint alles Wirtschaftsdenken neben der Verminderung der Ansteckung durch das Coronavirus Covid-19 nebensächlich. Die wirtschaftliche Not in der Konsequenz seiner Eindämmung wird natürlich nicht ignoriert. Der Stillstand gefährdet ein System, welches auf permanente Bewegung von Arbeit, Ware und Kapital ausgelegt ist. Der globale Kapitalismus ist wie ein Neutrino: ohne Geschwindigkeit existiert er nicht.

Deswegen verstummen die Stimmen derjenigen nicht, welche seit jeher ermahnen, wie wichtig das wirtschaftliche System für eine Demokratie sei. Man blickt politisch also auch weiterhin mit Sorge in die ökonomische Zukunft. Kapitalismus und Demokratie sind im Westen des laissez-faire Kapitalismus prinzipiell bedeutungs-verschmolzen.

Die Lösung der meisten Staaten ist keine neue: es soll mit Geld geholfen werden. In der Essenz bedeutet das neue Verschuldung von Staatskassen durch das Aushändigen von Steuergeldern an seine eigenen Leistungsträger. Wollen die Staaten eine weitere Inflation vermeiden, so fragt sich wann und wie dieses Geld wieder erarbeitet werden soll. Und die Frage scheint überflüssig, durch wen dieses Geld wieder erarbeitet werden wird. Momentan bleibt das System von Kapitalakkumulation nach oben durch „Finanzspritzen“ erhalten: Eigentum verpflichtet noch immer nicht, sondern wird weiterhin garantiert durch den Fluss von Steuergeldern zum Erhalt des Status quo, wie Miete und Überbrückung von unternehmerischen Ausfällen und last but not least: Zinsen.

Jetzt bleibt abzuwarten, wann der ökonomische Druck dem gesundheitlichen überwiegt. Die Chinesen haben schon gezeigt, mit welchen drastischen Mitteln man relativ schnelle Erfolge erzielen kann. Koste es, was es wolle. China ist im Vergleich zu anderen westlichen Ländern offen zynisch über den Zustand des Kapitalismus. Dafür hat es lange genug auf den Knien für den Westen gearbeitet. China ist die Fabrik der Welt, China hat die Arbeiter der Welt, China ist die Macht mit der Peitsche, die Arbeiter antreibt. China ist die Werkbank der westlichen Welt, die sich neben großen Gewinnen vor allem mit dem Elend und dem Dreck der Produktionsverhältnisse auseinandersetzen muss. Globales Outsourcing.

Inzwischen ist China wirtschaftlich selbständig geworden. Es ist nicht mehr auf die Bestellungen und Anleitung der Auftraggeber angewiesen, gleichermaßen wie es die Saudis nicht mehr in Bezug auf die Amerikaner sind. China ist von einem hungernden Land der 1990er in einem durch Wettbewerb bestimmten globalen Markt durch harte (Sklaven)Arbeit zu Vermögen gekommen. So gesehen hat sich das Wettbewerbsprinzip hier ausgezahlt. So gesehen ist in China ein humanitärer Sozialstaat nicht existent. So gesehen leiden die Chinesen an den Arbeitsverhältnissen einer ausgemachten Sklaverei. Und doch ist die chinesische Regierung eben in der Lage autonom und autark zu handeln – und das global mit jeder Menge Geld und Waren. Die pure Möglichkeit zu wirtschaftlicher Hilfe ist inzwischen so essentiell, daß dem Helfenden humane Absichten unterstellt werden.

Man erinnere sich an die Freude der Italiener über chinesische Hilfen oder den Ausdruck der serbischen Dankbarkeit gegenüber dem Regime Chinas als Atemschutzmasken etc. geliefert wurden. Was die EU als Entität und als Idee nicht zu leisten vermochte, könnte China als verlängerter Arm der westlichen Wirtschaft durch seine faktische Produktion erreichen. China entpuppt sich in deren Augen als wahrer Freund. Bedenklich ist der anklagende Unterton gegenüber der EU, speziell der Serben. Als sei die Anspannung der gegenwärtigen Lage – nicht einer epidemischen, sondern einer sozial-ausgehungerten – spürbar. Und es scheint, als erkennt niemand eben diese soziale Verdorrtheit der Industriestaaten, deren Konsequenzen gerade heute Konturen zeigen.

„Es sind die armen Nationen, in denen sich das Volk wohlfühlt; es sind die reichen Nationen, in denen es für gewöhnlich arm ist.“

Destut de Tracy (1754 – 1836)

China macht vor, wie wirtschaftliche Kraft für kurzfristige Linderung von Krankheitssymptomen nützt. Neben Covid-19 treten alle übrigen Krankheiten der Gesellschaftssysteme immer konturierter zu Tage.

Die Frage stellt sich momentan, ob das Mittel für Deutschland und Europa, seine Wirtschaft faktisch einzufrieren, im globalen Wettbewerb Vorteile schafft, welche jene einer gesunde Bevölkerung mit weniger Toten überwiegt. Diese Frage zu stellen ist an sich schon perfide. Doch es ist eine Frage, die im heutigen neoliberalistischen System gestellt wird. Insbesondere im Anglo-Amerikanischen Raum wird ganz unverhohlen Wirtschaft versus Gesundheit aufgewogen. Fraglich ist, ob ein Umdenken in der Bevölkerung darüber, welche Art von Wirtschaft nötig ist, in der mittelfristigen Zukunft entsteht oder ob der Wettbewerbsgedanke zur Wiederaufnahme des „rat race“ nach Zeiten der Isolation führen wird.