Panik! „Heimliche Grundgesetz-Änderung: Bürger soll nicht mehr in Karlsruhe klagen können“

Es ist der neueste „Hype“: Die Bundestags-Verschwörung gegen den Bürger. Angeblich gibt es bei allen Parteien im Bundestag (ausgenommen DIE LINKE) Bestrebungen, „den Gang ans Karlsruher Bundesverfassungsgericht für Privatpersonen zu erschweren. Offiziell, um die Überlastung des Gerichts einzudämmen. Angeblich wenden sich mittlerweile zu viele Bürger an das Gericht – und dieses könne die Überlastung nicht mehr bewältigen.“ (Quelle: Dt. Mittelstands Nachrichten). Auf anderen Seiten (hier und hier) wird heiß diskutiert, wie sehr die Rechte des „kleinen Mannes (mal wieder) beschnitten werden“. In der Essenz konzentrieren sich die Kommentare auf Befürchtungen, Grundgesetzänderungen ohne Volksbeteiligung vorzunehmen.

Offenbar verwechseln viele der Kommentatoren, daß eine Änderung im Grundgesetz nicht gleichzeitig eine Änderung der Grundrechte bedeutet. Jene finden sich in den Artikeln 1 bis 19 der Verfassung und sind von der Ewigkeitsgarantie des Grundgesetzes (Art. 79 III GG) erfaßt – also grundsätzlich vom Bundestag und Bundesrat nicht abänderbar. Artikel 93 GG dagegen ist regelt die Antragsvoraussetzungen für eine abstrakte Normenkontrolle an das Bundesverfassungsgericht. Er regelt Antragsformalia, keine Grundrechte.

Abstrakte Normenkontrolle bedeutet, daß bestimmte Personen oder Personengruppen einen Antrag an das Bundesverfassungsgericht stellen kann, damit jenes ein überprüft, ob ein bestimmtes Gesetz mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Artikel 93 schränkt lediglich das Antragsrecht „Jedermanns“, von Parteien, Kommunen etc. ein, indem er fordert, daß man in gewissen Maße vom gegenständlichen Gesetz betroffen sei. Nicht mehr und nicht weniger. Ein Beispiel: Artikel 93 I Nr. 4a GG regelt die Antragsbefugnis von „jedermann“, die

 

„mit der Behauptung erhoben werden können, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, 33, 38, 101, 103 und 104 enthaltenen Rechte verletzt zu sein“

Was bedeutet das? Das heißt, daß jede Person, die den Schutz der Grundrechte genießt, ein bestehendes parlamentarisches Gesetz der Prüfung vor dem Bundesverfassungsgericht unterziehen kann. Allerdings nur, wenn diese Person in einem dieser Rechte verletzt ist. Da das Gericht diese Verletzung erst prüfen kann, wenn es sich mit dem Antrag beschäftigt, genügt allein die „Behauptung“ der Verletzung. Das BVerfG kann und wird vor der Prüfung der „Materie“ des Falles eine – sagen wir – oberflächliche Prüfung vornehmen worin wenigstens die Möglichkeit der Verletzung des Antragstellers gefunden werden muß. Sonst könnte ja jeder kommen… und es kann!

Tatsächlich wird nirgendwo erwähnt, was die angeblich geplante Änderung zum Inhalt hat. Lediglich auf dem Blog „…kaffee bei mir?“ findet sich ein Anhaltspunkt – ein Presseschreiben des Abgeordneten Jerzy Montag: Danach geht es um einen “ Vorschlag zur Verbesserung des Rechtsschutzes […]“ für Parteien und Wahlbewerber. Im Grunde geht es um schleunigen Rechtsschutz, wenn eine Partei oder ein Kandidat nicht zur Wahl zugelassen wird. Abgesehen davon, daß ein solches Antragsrecht Parteien wie der NPD in die Hände spielt, fragt sich, wo der Nachteil für den Bürger sein soll?

Nichtsdestotrotz: Wenn sich die Bevölkerung für Belange der Verfassung und des Verfassungshüters (BVerfG) interessiert, ist das ein gutes Zeichen. Im gegenwärtigen Fall ist es – an einigen Stellen – populäre Panikmache von juristisch „Unbedarften“. Änderungen des Art. 93 GG hat es übrigens zahlreiche gegeben. Siehe hier.

Ein interessanter Beschlußtenor vom Bundesverfassungsgericht, indem es genau um die gegenwärtige Problematik geht findet sich hier.