Doktorarbeiten, Schrott & Plagiate: ad nauseam usque

Jetzt ist die nächste an der Reihe, mit ihrer Doktorarbeit kritisch unter die Lupe genommen zu werden. Doch halt – die Formulierung des Einleitungssatzes hinkt… Zunächst wird die Doktorarbeit Annette Schavans genauer betrachtet, dann werden öffentlich Zweifel geäußert und erst dann ist Frau Schavan selber dran. Laßt die Jagd beginnen!

„Person und Gewissen“ lautet der Titel ihrer wissenschaftlichen Arbeit und sie wird bezeichnend werden, sollten sich die Plagiatsvorwürfe als wahr erweisen. Nach dem vergleichenden Lesen einiger betroffenen Textstellen war ich etwas verwirrt: Kopiert wurden Stellen aus anderen Texten der Sekundärliteratur aber mit eigenen Worten nachgeschrieben. Eine semantische 1:1 Kopie konnte ich (im Gegensatz zur Software) nicht entdecken. Das hat mich zu der Frage gebracht, was genau ein Plagiat ist.

Definiert wird es als Anmaßung fremder geistiger Leistungen. Schavan hat also die von anderen gerafften Versionen nicht als fremd gekennzeichnet.

Doch wie gewichtig sind die Auszüge? In welchem Kontext stehen die Ausführungen zur Arbeit?

Als ich vor einigen Jahren meine juristische Abschlußarbeit über §305 a.F. BGB, Kant und Savigny schrieb, wollte ich meine eigenen Theorien preisgeben und begründen. Es war meine Absicht, Erkenntnis zu generieren, mit Hilfe von Originaltexten und solchen aus der Sekundärliteratur. Als ich mit Freunden darüber sprach, meinten die, ich solle keine wilden Theorien erfinden – in wissenschaftlichen Arbeiten ginge es um genaue Ableitungen (richtig), die jedoch immer nur Querverweise auf schon Geschriebenes bedeuteten. Man könne keine eigenen Theorien entwickeln – nicht einmal eigene Ableitungen seien die eigenen Theorien, sondern führten zu bestehender Erkenntnis zurück. Man schreibe also für die Katz. Das hat mich geärgert und ich versuchte, einen „eigenen Stil“ zu bewahren. Interessanterweise haben beide meiner Freunde, die mich damals „berieten“ heute ihren Doktortitel.

Mir war klar, daß Universitäten reichhaltige Literaturverzeichnisse und damit Fußnoten erwarten. Doch bewirkt nicht gerade dies die Plagiierung von Texten? Wird man nicht verleitet, sich die in Sekundärliteratur zusammengefaßten Erkenntnisse anderer zu eigen zu machen? Wenn man einer bestimmten Ansicht folgt, sich dann die gerafften Beschreibungen und Schlüsse anderer durchliest, sich zu eigen macht und in einer Fußnote quittiert, plagiiert man dann nicht in gewisser Weise?

Beispiel Schavan, Originaltext Häfner:

Von dieser ontogenetischen Gewissenstheorie ausgehend, gab FREUD auch eine phylogenetische Begründung für das Auftreten der Sittlichkeit beim Menschen. Aus einer Ära aktiver ethnologischer Forschung heraus […] konstruierte FREUD die Geschichte vom Mord am Vater der Urhorde. Ursprünglich soll der Vater den Besitz aller Frauen beansprucht haben. Die Söhne schritten aus ihrem vom Triebverzicht gespeisten Haß zum Vatermord. Doch hatte diese Tat nicht den unbewußt erwarteten Erfolg, denn keiner konnte sich an die Stelle des Vaters setzen.

Schavans Version:

Neben der beschriebenen ontogenetischen Gewissenstheorie gibt Freud auch eine phylogenetische Begründung des Gewissens, die allerdings nur historischen Wert hat. Dazu konstruiert er die Geschichte vom Mord am Vater der Urhorde: Der Vater soll ursprünglich den Besitz aller Frauen beansprucht haben. Aus Haß, der durch dauernden Triebverzicht immer wieder neu verstärkt wurde, töteten die Söhne den Vater. Diese Tat hatte nicht den unbewußt erwarteten Erfolg, weil keiner sich an die Stelle des Vaters setzen konnte.

Es scheint als habe Schavan den Fehler gemacht, die gleiche Erkenntnis anderer nicht zitiert oder genug in eigene Worte gefaßt und syntaktisch variiert zu haben. Damit konnte die Anti-Plagiats-Software die Passagen finden. Es indiziert die Annahme, daß Schavan Freud nicht selbst im Original gelesen hat – sie hat also geschummelt. Daraus ergeben sich zwei Möglichkeiten, um in Zukunft den Plagiatsjägern nicht zum Opfer zu fallen: Die Originaltexte selbst zu lesen und dann hoffentlich die eigenen Worte zu finden, die anderen nicht ähneln oder den Text der Sekundärliteratur ordentlich zu verzerren. Letzteres ist einfacher und sicherer; man kann davon ausgehen, daß man jedenfalls nicht zufällig Ähnliches geschrieben hat wie andere vor einem.

Diese Nutzbarmachung fremder Werke wird von Universitäten verlangt, denn man muß die gewichtigen Meinungen neuerer Wissenschaftler kennen und anwenden. Dann muß man sie auch benutzen. Es zeit gleichzeitig das Problem der Wissenschaft: Das Ersaufen in Sekundär- und Tertiär-Literatur, in Kommentaren und dritten Meinungen, anstatt im originalen Wesen der Texte. Das hat mir als Student sehr zu schaffen gemacht, denn die Bücherregale waren brechend voll mit unsinnigen Zweit- und Drittmeinungen anderer über originale. Doktorarbeiten sind augenscheinlich die unsinnigste Spitze dieses Eisberges. Vielleicht wird es Zeit, dem Doktortitel zu mehr Würde zu verhelfen, indem man weniger auf Literaturverzeichnisse achtet, sondern auf die darin befindliche Erkenntnis.