Sind das unsere Werte?

Zerstörung in AZAZ, Syrien.
Der Terrorismus in Paris zeigt, wie effektiv er ist: Er führt zur drohenden Radikalisierung Europas. Die meisten Europäer sind aufgeklärte, moderate Menschen, die sich der Zusammenhänge in der Welt bewußt sich. Der ungebremst wachsende Wettbewerb untereinander ist die tatsächliche Gefahr, vom Terror katalysiert.

Einige Gazetten schreiben inzwischen von  Bürgerkrieg in Europa. Allen voran der Focus, Contra-Magazin oder der Kopp-Verlag. Mehr oder minder Blätter mit fraglichem Hintergrund und fehlenden Quellen. Was diese damit erreichen ist die weitere Radikalisierung der politischen Landschaft in Europa. Wir wissen, was das heißt: Grenzkontrollen, Internet-Datensammlung, striktere Kontrollen an neuralgischen Verkehrspunkten wie Bahnhöfen und Flughäfen, mehr Befugnisse für Strafverfolgungs- und Verfassungsschutzbehörden. Und eine generelle geistige Verrohung mit permanenter Angstmache.

Ob radikale Regierungen oder nicht. Solange die europäischen Staaten weiterhin auf ökonomischen Erfolgskurs zu halten versucht werden, ist das Risiko von Kriegen generell hoch. Das hat mit Terrorismus nichts zu tun – dieser wird allenfalls Legitimationsgrundlage für Gewalt. Wir erinnern uns an 9/11.

Der Zynismus wird brillieren, wenn gerade die jenigen, welche in der ökonomischen Schicht am Boden haften – und das werden mehr und mehr – eine Waffe in die Hand nehmen für ein System, dass sie arm gemacht hat. Ein System, wie alle Systeme zuvor, das Gemeinschaftssinn aufrechterhält. Wir sind Europäer, wir sind Deutsche – schlimmer noch: wir werden vielleicht alle Christen sein. Hauptsache unser Krieg ist heilig. Solange eine differentium specificum sich entfaltet, werden Fronten verhärtet.

Dann muß man sich Menschenwürde erstmal leisten können! Wir hassen die, welche in Frankreich auf grausame Art Unschuldige getötet haben. Jene hassen uns, weil wir ihre Städte zerbomben und weil wir sie tagtäglich ignorieren. Innerhalb von vier Jahren starben geschätzt 220.000 Syrer, davon über 12.000 Kinder. Das sind 228 Menschen täglich[1].

Wir müssen uns fragen, welche Werte es sind, die wir in die Welt tragen. Wie wäre es beispielsweise mit der „demokratisch freiheitliche Grundordnung“?  Der Traum einer Demokratie, den viele Menschen in der westlichen Welt inzwischen selbst hinterfragen. All jene, die entweder auf lange Zeit arbeitslos sind und bleiben werden, jene, die acht, zehn, zwölf Stunden am Tag arbeiten und aus der Stadt auf das Land ziehen müßten, um sich überhaupt eine Wohnung leisten zu können. All jene, welche sich von der Panikmache der bunten Medienlandschaft des Westens anstecken lassen und xxGIDA-Plakate hochhalten und dabei besessenen Angstmachern zuhören. Man kann die Menschen verstehen, wenn sie dem eigenen System nicht mehr trauen. Ein System, das sich hat ausnutzen lassen von corporate greed, das seine Schwimmbäder und Sportplätze verliert und dafür Vodafone-Aren bekommt, wo ein Ticket den Tageslohn kostet. Ein System, wo Kommunen, die wichtigsten sozialen Zentren eines Landes systematisch ausverkauft werden müssen, weil ihre Selbstverwaltung nach Art. 28 Grundgesetz zur Farce verkommen ist. Die ganze westliche Hegemonie ist nicht mehr nur Feindbild der IS; sie wird auch für westliche Bürger immer weniger greifbar.

Wie wäre es dann, zumindest Aufklärung in die Welt zu tragen? Dazu muß man selbst erst einmal aufgeklärt sein. Daß die AfD und die CSU Aufwind bekommen, spricht schonmal für eine Devolution in dieser Hinsicht. Doch das beiseite: Was nützt mir Wissen, Aufgeklärtheit und das Studium der alten Philosophen, wenn meine Stimme kein Gewicht mehr hat? So fühlen sich deutsche (und andere europäische) Bürger. So fühlen sich amerikanische Bürger schon länger. Die Wahlbeteiligung spricht jedes Mal für sich. Dann ist eines verständlich: Daß die Sachsen Montags auf die Straße gehen. Immerhin ist da jemand, der sie hört, jemand, der laut apelliert.

Dabei verschmilzt langsam die Filigranität menschlichen Geistes zu einem Klumpen an Dummheit, der sich langsam in Bewegung setzt und immer mehr Menschen mit sich reißt. Das Momentum beginnt im kleinen und wird, wie ein Schneeball, immer größer. Um so radikaler sein Einschlag. Aber welchem Arbeitslosen, Renter oder Arbeiter mit Mindestlohn könnte man es verdenken? Diese Menschen sind weder naiv noch radikal; manch einer wurde womöglich schon von einem Germanisten bei McD bedient. Diese Menschen, die wir inzwischen getrost einer Klasse zuordnen können, welche rasant wächst ( Mittelschicht ade ) wurden lediglich radikal in einen Wettbewerb untereinander gesto-en, den die meisten verloren haben. Weil sie die Hilfe in der Politik suchen und nicht im Markt, haben sie gar keine andere Möglichkeit als sich auf die Straße zu begeben. Leider mit Demagogen wie Bachmann oder Höcke. Viele sind nicht einverstanden mit menschenverachtendem Getöne, doch manche werde weichgequatscht. Die Lobby, welche Deutschland zerklüftet, ist die selbe, welche nun Waffen für den Krieg gegen den IS produziert.

Waffen, mit denen in Syrien und im Irak auch Zivilisten getötet werden. Wenn französische, amerikanische, britische und deutsche Bomben daran beteiligt sind, laufen die Zivilisten zur IS wie die besorgte Bürger zur Pegida. Dann wird es eine Menge hölzerner Kreuze zu sehen geben. Brennend. Kollateralschäden für noch mehr Radikalisierung. Die Spirale der Gewalt wird gerade in Paris angefacht – insbesondere durch Hollande, der in übertriebenem Aktionismus Bomben in Syrien verteilt und Europa zur Einigkeit aufruft.

Einigkeit, die Europa in der Flüchtlingsdebatte nicht finden konnte, aber im gemeinsamen Krieg. Mit Sicherheit sind auch Nicht-Flüchtlinge auf der großen Welle mitgeritten. Womöglich auch Attentäter von Paris. Doch gab es Giftgas und Bomben in London und Paris schon vor den großen Flüchtlingsströmen. Eine Korellation zwischen Flüchtlingsströmen und vermehrten Terroranschlägen ist Spekulation.

Wollen wir wirklich in einem Generalverdacht all jene Flüchtlinge in ihre brennende Heimat zurückschicken, die heute unsere Hilfe brauchen? Einige davon werden morgen unsere Fahnen anzünden. Sind das unsere Werte?