Denk‘ ich an Deutschland nach der Wahl…

Wenn ich aber in einem kleinen Nest wohne, dessen Bibliothek ausgelöscht und dessen Schwimmbad geschlossen ist, bin ich dankbar für jeden, der ein Volksfest organisiert oder das Schwimmbad öffnet. Ob das der Bernd von der AfD oder Ulf von der NPD sind - das interessiert mich genauso wenig wie das abstrakte Konzept von der freiheitlichen demokratischen Grundordnung

Wenn ich nach Deutschland reise, ist es schön zu wissen, daß ich in ein Land komme, wo mir das Recht schwarz auf weiß garantiert ist, mich frei zu entfalten. Wo ein Staat, mittels Grundrechten gezähmt, nicht in meine grundlegenden Freiheiten als Mensch eingreift.

Mit der AfD zieht eine Partei in den Bundestag, die jene verfassungsrechtliche Freiheit als die Freiheit des Völkischen definiert. Das Völkische kann mir gestohlen bleiben. Ich will keinen Staat, für den ich ein Rädchen bin, der „das Volk“ stark macht. Das ist die Ochlokratie des Sokrates und die Sklavenmoral von Nietzsche aus der nichts Gutes wächst. Volksherrschaft in diesem Sinne meint, daß jeder Einzelne nur Wert als beitragender Teil der Gemeinschaft hat. Darin steckt zwar Wahrheit: Jeder trägt soziale Verantwortung, doch Volksherrschaften zwingen diese dem Individuum auf und mißbrauchen dies; bis hin zum unbedingten Kriegseinsatz. Die Russen haben das im zweiten Weltkrieg gemacht: die eigenen Zivilisten mit der Waffe im Rücken an die Front gejagt. Die Deutschen haben Kinder zum Kanonenfutter gemacht.

Als Teil des Volkes verstehe ich, warum „Gemeinschaft“ im völkischen Sinne der AfD eine Renaissance erfährt: Volk sind jene, welche der Politik in Berlin gegenüber stehen. Die Vergessenen und Abgehängten. Die, welche sich nicht gehört fühlen von den Parteien, die über Jahre Freiheit als unternehmerische entstellt haben. Doch dieser feine Unterschied zwischen „völkisch“ und „Volk“ entwickelt dramatische Dynamik in der Welt eines Gauland oder Höcke.

Verständlich, daß CDU, SPD, Grüne, Linke mit der Berufung auf die „freiheitliche Grundordnung“ die selbe meinen wie im Grunde die meisten anderen Deutschen, viele AfD Wähler eingeschlossen. Die Freiheit der menschlichen Entfaltung, der Würde, der freien Berufswahl, dem Eigentum und dessen Verpflichtung. Wenn ich aber in einem kleinen Nest wohne, dessen Bibliothek ausgelöscht und dessen Schwimmbad geschlossen ist, bin ich dankbar für jeden, der ein Volksfest organisiert oder das Schwimmbad öffnet. Ob das der Bernd von der AfD oder Ulf von der NPD sind – das interessiert mich genauso wenig wie das abstrakte Konzept von der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Wenn jemand vor Ort Taten zeigt, dann sind diese mir näher als hohle Phrasen der Liberalen.

Tatsächlich zersetzen die demokratischen Parteien das ihnen Heilige, je öfter sie damit argumentieren. Das deutsche Grundgesetz ist herausragend. Aber wen verpflichtet Eigentum heutzutage noch? Was nützt das Recht auf freie Berufswahl und -ausübung ohne Chancen in aristokratischen Strukturen? Wieso zahle ich über dreißig Prozent Steuern auf meine hart verdienten Euros, wenn andere „ihr Geld arbeiten lassen“ und weniger als die Hälfte an Steuern zahlen? Insofern geht die Argumentation der Demokraten an der Sache vorbei, wie die Argumentation der Rechten an der Demokratie: Die „freiheitlich-demokratische Grundordnung“ ist im Sinne der CDU die unternehmerische Freiheit, mittels Kapital noch mehr Kapital anzuhäufen – auf Kosten jener, die für ihr Geld arbeiten müssen. Es ist die gesetzlich organisierte Kriminalität der Gier. Wachstum, Wachstum, Wachstum. Auf Kosten derer, die jetzt – zu Recht – Protest wählen. Die zynische Argumentation mit dem Grundgesetz kann sich Frau Merkel dorthin schieben, wo die Sonne nicht mehr scheint. Die einheitliche Wirtschaftspolitik von Schwarz, Rot, Gelb und Grün hat jetzt, wo ihre Fundamente brüchig geworden sind, Raum für Demagogen eröffnet.

Über die Rechten brauchen wir gar nicht weiter zu reden. Oder doch: Entweder sind sie wütend oder dumm oder genauso zynisch wie die Etablierten. Im letzteren Fall betrügen sie jetzt schon ihre Wähler, welche ihre Interessen durch die AfD vertreten sehen. Auch eine AfD wird sich nicht wagen, an wirtschaftlichen Strukturen zu rütteln, solange das Paradigma Wohlstand durch Wachstum steht. Stattdessen fokussieren sie auf Immigranten und Flüchtlinge, welche mit diesem Problem nur eines zu tun haben: Sie sind Opfer unserer westlichen Politik und noch ärmere Schweine als der betrogene (Nicht)Wähler. Wenn Frauen vergewaltigt oder Kinder mißbraucht werden, dann reden wir von 0.036975% statistisch erfaßter Straftaten 2015. Statistisch existieren diese Probleme nicht. Und doch genügt es, um in den Bundestag einzuziehen.

Wenn die Demokraten jetzt nicht den Mut haben, an den Strukturen des neoliberalen Wirtschaftssystems zu rütteln, wächst die Gefahr nationalen Irrsinns durch einen wirtschaftlichen Kollaps exponentiell.