„Fisher Price’s First Country“

Es sind Parlamentswahlen in Neuseeland. Könnte hiervon ein weltweiter Paradigmenwechsel in der politischen Kultur von Neuseeland ausgehen? Im späten neunzehnten Jahrhundert war es das Frauenwahlrecht, das von den kleinen Inseln im Südpazifik auf die restliche Welt übergriff. Nun fragt man sich, ob die von Kim Dotcom gegründete „Internet-Party“ nicht nur Chancen gegen die gegenwärtige Regierung John Keys hat, sondern dieselbe umstürzen könne – mit globalen Auswirkungen. Das vermutet zumindest Kim Dotcom – und auch der britische Guardian gibt sich beeindruckt in seinem Artikel über Kim’s Wahlkampf in Neuseeland. 

„Ich denke, der Krieg um das Internet hat gerade erst begonnen. Die Internet-Generation wird die Herrschaft übernehmen und die Regierungen um den gesamten Globus sollten besorgt darüber sein. Sie [die Internet-Generation] wird bestehende Regierungen abwählten. Sie wird Dinge ändern, die falsch sind. Und ich denke, dies beginnt in Neuseeland.“

– Kim Dotcom

Was oder wer ist die Internet Partei?

Sie ist ein Baby: Die „Internet-Party“ wurde 2014 von Kim Schmitz (Kim Dotcom) gegründet und sorgt nicht zuletzt wegen seiner schillernden Persönlichkeit für Schlagzeilen. Für einige, besonders die jüngere Generation, steht Dotcom auf einer Ebene mit Edward Snowden and Julian Assange.

Da der deutsch-finnische Unternehmer keine Staatsbürgerschaft besitzt, sondern lediglich unbegrenzte Aufenthaltsgenehmigung, unterstützt er neuseeländische Politiker / MPs ( „Member of Parliament“ ) und zahlt diesen volle Ministerbezüge. Das gibt Anlaß zu Kritik wegen Zweifeln an der Unabhängigkeit jener Politiker, welche nichtsdestotrotz ungemeine Authentizität ausstrahlen. Diskussionen entspannen sich auch um die politischen Ziele der Partei: Aus konservativen Kreisen kristallisiert sich das Hauptargument, der Gründer, Kim Dotcom, wolle mit seiner Präsenz auf der politischen Bühne seiner drohenden Auslieferung an die USA entgehen, wo ihm 88 Jahre Haft drohen.

„Das ist Müll“ meint Kim Dotcom dazu und gibt seine Sicht der Dinge wieder:  Das corpus delicti ist megaupload.com – eine File-Sharing Plattform, welche in Spitzenzeiten 50 Millionen Benutzer täglich registrierte. 2010 trug diese Webseite Dotcom 42 Millionen US Dollar ein. Er hätte mit dieser Webseite im Grunde lediglich ein Werkzeug bereitgestellt, um den Austausch von Dateien zu vereinfachen. Dateien jeglicher Art, wie auch Software, Musik und Filmmaterial. Ein Fall für das FBI, welches die „Mega Conspiracy“ seit Januar 2012 verfolgt. Das amerikanische Department of Justice deklariert über eine halbe Milliarde Dollar an Schaden durch Urheberrechtsverletzungen (hier). Zwei Hubschrauber landeten auf Dotcoms Grundstück in Auckland, insgesamt 77 Polizisten begannen Durchsuchungen und konfiszierten Bargeld, Kreditkarten, Autos und so weiter. Das alles geschah auf Initiative der amerikanischen Bundespolizei, was in der neuseeländischen Bevölkerung Entsetzen hervorrief. Die Tatsache, dass der Arm der U.S. Amerikaner (noch immer) bis nach Neuseeland reicht war ein Schock, der die Erinnerung an die 1980er wachrief als nuklearbetriebene (Kampf-)Schiffe in neuseeländischen Häfen verboten wurden (Details). Zum anderen war es die Art und Weise des Vorgehens der Behörden, die Mittel wir Lauschangriff und Hubschrauber einsetzten und Dotcoms Familie „terrorisierten“ um – im Grunde lapidar-strafbewährte Urheberrechtsverletzungen – zu ahnden. Die gegenwärtige Regierung um John Key hat sich mit dieser groß angelegten Razzia gegen Kim Dotcom womöglich in’s eigene Knie geschossen.

Die Demarkationslinie zwischen realen Bedürfnissen der Bevölkerung und institutionalisierter Politik wird heutzutage an der Internet-Generation deutlich, wo Establishment und Bevölkerung aneinandergeraten. Megaupload ist ein herausragendes Beispiel zwischen der Lobby der Medienindustrie, welche sich gewissermaßen berechtigterweise auf existierende (Urheberrechts-)Gesetze stützt und mit rigorosen Abmahnwellen und Gerichtsprozessen reagiert. Das Unrechtsbewußtsein der Betroffenen wird durch dieses Vorgehen nicht geweckt. Zumindest tritt das Gewissen über die eigene Urheberrechtsverletzung angesichts unverhältnismäßiger, ja grotesker, Schadensersatzforderungen der Medienunternehmen in den Hintergrund („220.000 US$ für 24 Musiktitel„).  Ein Urteil ist gerecht, wenn es dem Gesetz entspricht und sich gerecht anfühlt. So lautet eine logisch-philosophische Regel der Rechtsprechung. Und: Recht ist „geronnene Politik“. Doch wenn Lobbyismus zu Recht gerinnt, ist das ein Recht des Establishments, einer kleinen aristokratischen „Elite“. Im Falle von Dotcom ist das Hollywood. Im Falle der übrigen westlichen Welt vereinen sich alle Industriezweige als Kreateure des Gesetzes. Daher scheint die Internet-Party gerade Menschen anzusprechen, die sich von der Politik bislang nicht angesprochen fühlten — und das scheint eben der Großteil zu sein, welcher etablierter Politik Sorgen machen sollte.

Kim Dotcom’s Lektion

Viele kennen die Bilder von Kim Schmitz, aka Kimble, aka Kim Dotcom, dem Internet-Millionär in Siegerposen auf Yachten, mit Bikini-Girls, Helikoptern und allem Glanz und Glitter. Dotcom antwortet auf die Frage des Guardian nach seiner Eigenreflexion in so:

„Ich lebte in einer Blase glücklicher Zufriedenheit. Ich war komplett blind, was die meisten Dinge betraf. Ja, man weiß, dass die U.S. Amerikanische Regierung unter Lügen und Vorwänden in den Irak einmarschierte; man weiß, dass man keine Dronen auf Menschen loslassen sollte oder das der riesige Spionageapparat einfach nicht so existieren sollte. Dessen ist man sich bewußt. Aber solange es einen nicht persönlich betrifft, reagiert man eher in dieser Art auf solche Probleme: ‚Weißt du, mir geht’s gut, wen interessiert’s?‘ Aber nun ist es mein persönliches Problem geworden weil alle auf all meine Rechte gepisst wird und ich mißhandelt werde. Die Durchschnittsbürger interessiert das nicht, weil es nicht deren Problem ist. Zumindest glaubt das jeder. Das glaubte ich auch. Aber ich irrte. Und wenn es dich erwischt, wirst du es verstehen.“

Millionär ist er eigentlich nicht mehr. Eigentlich. Dotcom’s Vermögen wurde beschlagnahmt (seine Anwälte arbeiteten anfänglich ohne Honorar) und innerhalb eines Jahres startete er Mega, einen Online-Datenspeicher  mit Verschlüsselung. Wert: zwischen 250 und 800 Millionen Dollar.

Die Piratenpartei Neuseelands?

Auf den kleinsten Nenner gebracht, zielt die Internet-Party auf „Internetfreiheit, Privatsphäre und Reform des Urheberrechts“. Das erinnert an die deutsche Piratenpartei und endet in unsäglichen politischen Querelen diesseits des Internets. Auf der Webseite der Internet-Party findet man einen „Policy Incubator“ – ein Forum, um politische Entwürfe einzuführen und zu diskutieren. Die Einführung einer „Robin Hood-Steuer“ wird ebenso diskutiert wie die Abschaffung des berüchtigten „1080“ – dem Gift gegen die Possum-Plage. Hier zeigen sich die Schwächen direkter Einflußnahme und freien Meinungsaustausches, wenn jemand namens „jakmkmfrij mismcoejc“ einen Thread eröffnet mit dem Titel: „Do you like guys?“ („Magt ihr Kerle?“).

Wenn man Parallelen zieht zu den deutschen Piraten: Wie soll die neuseeländische Version einen globalen Unterschied machen?

Wer in Neuseeland lebt, weiß wie schnell Ideen die Runde machen können. Mit einer Bevölkerung von 4 Millionen ist es vergleichsweise leicht, mit Ideen, Produkten oder Nachrichten die nationale Ebene zu erreichen. „Fisher Price Country“ eben: mit einfachen Bausteinen zum Erfolg. Zum anderen scheint die Internet-Party eine Zielgruppe erreicht zu haben, die sich bisher politisch zurückhielt. Zitiert werden 18 bis 24 Jährige, die bisher nie wählen waren, weil die Politik bisher nicht zu ihnen „gesprochen“ habe.

Und doch ist das keine befriedigende Antwort, sondern bloß weitere Parallelen. Nur wenn es die Internet-Party in’s neuseeländische Parlament schaffen sollte, werden wir sehen, ob der Funke von diesem kleinen Land überspringt und ein Feuer entfachen wird.