Ganz klar: PEGIDA oder Occupy?

Ein Demagoge, 25.000 Mitläufer, der Islam und kriminelle Asylanten zum Gegner. Es schwingt Rassismus und Nationalismus mit, keine Frage. Daran kann auch das scheinheilige 19-Punkte Positionspapier der PEGIDA nichts ändern. Denn es ist nicht ehrlich. Doch über die letzten 12 Wochen konnte man miterleben, was PEGIDA wirklich ausmacht: diffuse Frustration über das Sozialsystem, ganz ähnlich der Occupy-Bewegung, die daran gestorben ist.

Wird PEGIDA ebenso verkümmern? Im Gegensatz zur Occupy-Bewegung hat diese einen Demagogen an der Spitze, sie ist bequem, weil sie ein „Spaziergang“ ist und kein wochenlanges Camp in einer Großstadt und ihre Regelmäßigkeit scheint langsam zur Gewohnheit zu werden. Also hat die PEGIDA ganz andere Voraussetzungen als Occupy.

Der Islam ist der Nagel an welchem der Zorn aufgehängt wurde, Asylpolitik das vorgeschobene, pseudo-politische Thema – vielleicht, um dem Namen …IDA treu zu bleiben. Dabei hat das alles mit Religion und Asyl wenig zu tun. PEGIDA ist das Stellen der generellen Systemfrage auf eine tumb anmutende Art des Volkes, welches kaum Angriffsfläche an einem Gesellschaftssystem findet, das in seinen Köpfen Problem und zugleich Lösung ist. Ob biederer Bürger oder Neonazi: Alle treffen sich im Elektronikmarkt, um jene Bildschirme zu kaufen, auf denen sie der „Lügenpresse“, Fußballspielen oder dem Traumschiff folgen. Bei allen drei TV-Formaten läßt sich das Problem der heutigen Zeit exemplarisch nachvollziehen:

Beim Fußball geht es um den Sport. So ist die überkommene Idee. Selbst den letzten Gehirnakrobaten sollten Zweifel plagen, da er über die horrenden Summen und die wiederkehrenden Korruptionsaffären der FIFA erfahren haben müsste. Nein, es ist Geschäft, nichts weiter. Spricht man über Bayern München – selbst in Neuseeland, kommt die Bemerkung, dass der Verein Geld habe, um gute Spieler zu kaufen. Geld, zum ersten.

Das Traumschiff ist eine andere Kategorie. Da ist die Welt noch in Ordnung. Eine Welt des Luxus, den viele eben nur durch die Mattscheibe erfahren werden. Eine Welt, in welcher Geld keine Rolle spielt ist für die meisten Menschen irreal: So fällt man nach 88 Minuten Illusion in die wahre Dramatik der eigenen Existenz, der sich immer schneller drehenden Tretmühle. Man könnte sich sicher einen Urlaub auf einem Kreuzfahrtschiff leisten, aber dann muß man ein, zwei Jahre strampeln, sich zusammenreißen… dabei könnte alles so einfach sein. Geld, zum zweiten.

Die von der PEGIDA sogenannte „Lügenpresse“ ist letztlich der Spiegel einer von Konsum und Leistungsdruck durchsetzten Welt, wo sinnleere Show-Formate auf Nachrichten treffen. Die gekaufte Presse gibt „Informercials“ wieder, die freie Presse berichtet und aus allem lassen sich Muster erkennen: Zum einen das, dass die Presse (und Google) Informationen filtert — auch im Internet. Zum anderen, wie sich die Politik im Kreis dreht, ergebnislos, während Kommunen ihre Einrichtungen schließen müssen. Lobbyismus ist inzwischen so dreist, dass selbst Eigeninitiative per legem verboten ist. Dann fragt sich manch einer (nicht nur PEGIDA-Anhänger): Ist das noch Demokratie?

Die Umverteilung des Wohlstandes wird spürbar in einer Welt, wo 1.100 Menschen zusammen soviel Reichtümer besitzen, wie der Rest [Forbes]. Da muß man kaum noch Kant zitieren…

Der Neid (livor), als Hang, das Wohl anderer mit Schmerz wahrzunehmen, ob zwar dem seinigen dadurch kein Abbruch geschieht, […], sonst aber nur Mißgunst (invidentia) heißt, ist doch nur eine indirekt-bösartige Gesinnung, nämlich ein Unwille, unser eigen Wohl durch das Wohl anderer in Schatten gestellt zu sehen, weil wir den Maßstab desselben nicht in dessen innerem Wert, sondern nur in der Vergleichung mit dem Wohl anderer, zu schätzen, und diese Schätzung zu versinnlichen wissen.

…um auf die Wurzel des Problems zu stoßen. Neid kann solche Superlativen gar nicht mehr umfassen. Aber das diffuse Gefühl, als kleines Rädchen im System ausgenutzt zu werden, bleibt. Geld, zum dritten.

Dafür strampelt sich die Mittelschicht ab: Für ein Stück vom Kuchen. Ein typischer PEGIDA Anhänger ist laut TU Dresden männlich, gut ausgebildet, berufstätig. Mittelschicht. Wenn man dann den Spagat dieser Mittelschicht betrachtet und die krank machenden Arbeitsverhältnisse in Deutschland (Stichwort: Amazon), erkennt man, dass das Leben eines Durchschnittsbürger aus Leistungsdruck, Sorge und Hoffnung besteht. Eine Existenz, wo Geld das Problem ist und die vermeintliche Lösung. Zu viel, um sich dagegen aufzulehnen, zu wenig, um zufrieden zu sein und zu ähnlich einer Droge, die man nicht verantwortlich machen kann für die eigene Misere. Frustrierte Bürger, frustrierte PEGIDA Anhänger also.

Warum müssen dann gerade Ausländer herhalten?

Die öffentliche Ordnung, vor allem auf dem überschaubaren Areal einer Dresdner Haustür, ist eine der letzten Bastionen eines verunsicherten Bürgers. Man  hat sich mit den Leuten um sich arrangiert — das sind in Sachsen hauptsächlich Deutsche (Statistik Sachsen: 2,2% Ausländeranteil) und bekommt irgendwie das Gefühl nicht los, homo homini lupus. Kriminelle sind generell zu verurteilen, vor allem Kinderschänder; so ist der Hype, welcher sich über Tage hinzieht, jedesmal erstaunlich, wenn ein Sexualdelikt an Schutzbefohlenen in der Presse auftaucht. Dabei machen Sexualdelikte insgesamt gerade 0.8% aller Straftaten in Deutschland aus. Für kriminelle Ausländer gilt eine ähnliche Dynamik: Stratftaten, welche von Ausländern begangen werden, sind populärer, und damit schwerer gewertet als die übrigen, die zu 89% von Deutschen bzw. Sachsen begangen werden.

Traurig ironisch, wenn Popularität (Quantität) mit Wert (Qualität) gleichgesetzt wird. Schuld daran tragen gewisse Medien, wobei die Ironie gesteigert wird, wenn PEGIDA-Anhänger jenen Lüge vorwerfen, wo sie doch gerade in Sachsen ihr Wissen um ausländische Straftaten und afrikanische Flüchtlinge aus eben diesen Medien beziehen.

Die öffentliche Ordnung ist ein Nenner, auf den sich die Empathie bündelt, wo man sich vergleicht und wo kriminelle Ausländer „hier her kommen“ und „auf unsere Kosten“ und sich „integrieren“… und so weiter. Bei Kriminellen (Ausländern und Kinderschändern) herrscht ein Konsens, worauf man skandieren kann. Bei Ausländern und Asylbewerbern generell wird es etwas schwieriger.

So versuchen PEGIDA Anhänger (wie die übrigen) eine klare Linie zwischen kriminellem Ausländer und Ausländer als solchem zu ziehen. Fällt das kriminelle weg, bleibt noch immer das Sozial-Schmarotzertum. Niemand weiß, wieviel Geld eine Asylbewerber-Familie pro Woche bekommt — es wird schon genug sein. Je mehr hinterfragt wird, umso mehr verschwimmt das Bild vom besorgten Staatsbürger zum Antisemit. Asylbewerber sind im Grunde willkommen, wenn ihr Leid entsprechend nachgewiesen werden kann.

Und doch: Ausländerfeindlichkeit ist nicht die Hauptmotivation von PEGIDA. Es scheint eher die Angst vor allem, was den kleinen Rest heile Welt zerfallen lassen könnte. Das sind all die diffusen kleinen Ängste und das Bewußtsein, dass der Leistungsdruck der Wachstumsgesellschaft die Kräfte der Bürger überschreitet. Leider formuliert der PEGIDA-Gründer Lutz Bachmann hohle demagogische Phrasen, die eine zurückgebliebene Weltanschauung tölpeliger Stubenhocker wiedergibt und Angst vor’m schwarzen Mann macht.

Sicher werden ihre Ziele über die Zeit formuliert werden – und je genauer diese werden, umso mehr Identifikationsprobleme bringt das für Anhänger mit sich. Dann trennen sich Mitläufer von Programmtreuen. Bleibt nur zu hoffen, dass dann entweder das Programm der PEGIDA weltoffen und realistisch wird oder der Kreis der Anhänger verschwindend gering.