Liebe Frau Barley

Der Alptraum im Dornröschenschlaf der Volksparteien ist nicht durchgestanden; im Gegenteil: während die ohnehin Konservativen nach rechts rücken, ein "Heimatministerium" (sind wir hier bei Indiana Jones??) zum Berliner Konsens geworden ist und bei jeder unangenehmen Regung der Demokratie nach Werten des Grundgesetzes geschrien wird, bleibt nach dem Aufwachen nichts. Nichts, außer der Erkenntnis, daß außerhalb der parlamentarischen Mauern die Welt in Brand geraten ist.

Sie und ihre Kollegen sind leider weltfremd. Sie sorgen sich hier, bei WDR Docupy, zu recht; doch die Art der Sorge ist mir und vielen Teilen der Bevölkerung etwas suspekt. Warum?

Die „aktuelle Stimmung“ kann die „Art wie wir zusammenleben werden verändern [kann], weg von der Gesellschaft, die zusammenhält, hin zu so nem sehr aggressiven Jeder gegen Jeden, nur der Stärkere überlebt – das ist die Gesellschaft, die die Rechtspopulisten wollen…“


Die unterstrichenen Wörter aus der Rede unserer Justiz- und Verbraucherschutzministerin in den Kontext der Realität außerhalb des Berliner Parlaments gesetzt:

  1. „werden“ – die Gesellschaft wird nicht verändert, sie ist schon lange dort, wo Zusammenhalt kein Thema mehr ist. Den gab’s vielleicht bis kurz nach der Wende, wo man wenigstens einen ideologischen Feind hatte.
  2. Die „Gesellschaft, die zusammenhält“ ist was genau? Eine idealisierte Welt einer alten SPD, wo Arbeiter in organisierter Gemeinschaft stark sind? Das war 1949 und bis 1990 ein im Osten vergeblich konstituierter Traum. Heute haben wir Finanzmärkte, das Kapital, die Unternehmen, die Konzerne — das alles unreguliert, also von der Politik (auch der SPD) in Seelenruhe gelassen — und zerbröckelnde Sozialgesetze. Es gibt „Geiz ist geil“ in einer Gesellschaft, die sich noch immer „Arbeit macht frei“ auf die Fahnen schreibt, das aber aus deutscher Scham anders formuliert. 
    Der homo oeconomicus ist allseits akzeptiertes Wesen bei allen Parteien im Bundestag; das Paradigma Vollbeschäftigung ist noch immer oben auf der Liste, womit dem resultierenden interpersonellen Wettbewerb weiterhin Bestandsschutz gewährleistet wird. Wir kämpfen doch schon seit Jahren jeder gegen jeden! Sie können als Bundespolitikerin nicht so naiv sein. Bitte seien sie naiv, statt zynisch – dann ist noch etwas zu retten.
  3. „Die Gesellschaft, die Rechtspopulisten wollen“ ist sicher kein Bürgerkrieg. Wenngleich diesen Leuten der Verschleiß von „Menschenmaterial“ nicht fern liegt und Krieg mit Sicherheit Mittel zum Zweck sein würde. Die AfD in diesem Fall unterscheidet sich nicht so sehr von der SPD: Auch die Rechten wollen eine stabile Wirtschaftspolitik, denn sie wollen ihre Klüngel bereichern. Die SPD, selig sei ihr Andenken!, hat sich mit Gerhardt Schröder auf die gleiche Ebene gestellt. Es geht nicht um das Wohl der Bürger, sondern um das Wohl der Industriellen. Die SPD hat die Hoffnung, daß starke Unternehmen den Rest der Bevölkerung aus der Misere ziehen, die AfD hat nicht einmal daran Interesse.
    Der Alptraum im Dornröschenschlaf der Volksparteien ist nicht durchgestanden; im Gegenteil: während die ohnehin Konservativen nach rechts rücken, ein „Heimatministerium“ (sind wir hier bei Indiana Jones??) zum Berliner Konsens geworden ist und bei jeder unangenehmen Regung der Demokratie nach Werten des Grundgesetzes geschrien wird, bleibt nach dem Aufwachen nichts. Nichts, außer der Erkenntnis, daß außerhalb der parlamentarischen Mauern die Welt in Brand geraten ist.