Frisch's Tagebuch

"Es ist nicht die Zeit für Ich-Geschichten. Und doch vollzieht sich das unendliche Leben oder verfehlt sich am eigenen Ich, nirgends sonst." Max Frischs Zitat gilt. Will man heute schreiben, gemahnen Medienbilder gewissensrührig zu mehr Demut. Wer schreibt, braucht ein gewisses Ego - nicht das übliche. Angesichts der Probleme der Welt wird das schreibende Ego belastet, als sei es weltfremd, in sich geschlossen und nahezu ignorant gegenüber dem Dasein anderer. Als Teil der Welt aber, trägt es Schuld an ihrem Glück und ihrem Untergang. Was ich mich frage: Wenn Frisch das schon in den 60ern schrieb, sich nach 50 Jahren in dieser Hinsicht nichts geändert hat, wozu dann schreiben? Vielleicht: noch mehr schreiben!

Laßt den Köter sterben!

Es ist inzwischen bei den Politikern angekommen: Der Übermacht der Banken (und nicht nur der) ist politisch nicht beizukommnen. War ihr noch nie. Der Spruch, der laissez-faire-Kapitalismus sei ein bissiger Hund, der losgelassen wurde, nimmt Konturen an: Die eines wütenden Köters, der - solange sein Herrchen ihn an der Leine hatte - folgsam und brav war. Nun läßt er sich nicht mehr an die Leine legen. Während der Kapitalismus jahrzehntelang (seit den 70ern) durch die Welt streifte, schnüffelnd, suchend, fressend und scheißend sind die Amtsstuben unten verstaubt und oben mit opportunistischen Marionetten besetzt. Es ging jahrzehntelang gut. Der Hund ließ der Politik ein paar saftige Knochen übrig derentwegen er noch von Steuergeldern gestreichelt wurde ("Wirtschaftsstandort"). Man nannte den Köter zeitweilig […]

Commented on "the intelligence"

"Was immer nun in diesem Land passieren mag, die Weltöffentlichkeit wird auf der Seite der Demonstranten stehen. Auch diese Menschen haben schließlich ein Recht auf Autos aus Japan, Computer aus Indien, Erfrischungsgetränke aus Amerika, Kleidung aus China, sie haben ein Recht darauf, zum Teil der modernen Welt zu werden." Mooooment: Passiert in diesem Absatz nicht genau das, was auch in der realen Welt geschieht? Nämlich die Vermischung von einer politischen Ordnung und einem Wirtschaftssystem. Ein "Recht" auf Wirtschaftsgüter gibt es im wirtschaftlichen System gerade nicht: Man hat es nur, wenn man eine Gegenleistung bieten kann. Und das politische Recht ist nur ein negatives: Man kann mir nicht verbieten, Waren aus China zu kaufen. Gut so. Aber hier liegt das Problem: […]

Der israelische Konsens

"Für den Fall, dass ein direkter Konflikt zwischen der Pressefreiheit und der staatlichen Sicherheit existiert, steht laut dem Obersten Gerichtshof die Sicherheit über der Pressefreiheit. Aber wir verfolgen einen sehr liberalen Ansatz. Ich habe in der Vergangenheit im Geheimdienst gearbeitet, und ich würde mir wünschen, unsere Feinde würden Dinge veröffentlichen, wie wir sie freigeben." (Quelle: Spiegel Online) Das ist ja wirklich nobel von der Ober-zensUrsula (Sima Vaknin-Gil) in Israel. Man muß also dankbar sein, daß der Zensurprozeß bei den Israelis so "liberal" ist. Da fällt mir ein Ei aus der Hose, denn offenbar glaubt die Dame an das, was sie sagt. Und daß die letztliche Zensur unter dem Richtervorbehalt steht ist eine typische Verzerrung der Realität: Man benutzt Institutionen jenseits […]

Alter

Sein Kinn zittert. Er hatte sich an diesem Morgen im Spiegel gesehen. Lange hatte er es nicht mehr bemerkt, denn es war so normal geworden, ein Teil von ihm, daß er keine Notiz mehr davon nahm. An diesem Morgen aber hatte er sich im Spiegel gesehen. 'Ich bin alt.' sagte er sich. Die Bank, von der er nun in den Park blickt, ist auch alt. Ausgeblichene Farbreste bilden längliche Streifen entlang der Holzmaserung, von welcher im Lauf der Jahre immer mehr das Sonnenlicht erblickte. Unerbittlich hatte die Sonne die Farbe ausgetrocknet und brüchig werden lassen, so daß sie in harten Fetzen abgeblättert war. Nun plötzlich bemerkt er, wie erbärmlich diese Bank inzwischen aussieht. Jahrelang war sie in seiner Erinnerung grün […]