Wir haben es satt.

Natürlich haben wir es satt. Wir haben die Schnauze gestrichen voll. Die Angst vor einer gefährlichen Virusinfektion ist einem Gefühl von Ohnmacht gewichen. Für einen Demokraten, also jemanden, der sich als selbstbestimmt und frei begreift, ist das fast die ultimative Qual. Doch es geht noch schlimmer: Niemand weiß, wie lange noch. Sie kennen das vielleicht vom Zahnarzt; wenn sich die Bange einstellt, dass der Bohrer noch vielleicht noch einmal kreischen wird. Und man hat den Mund zwar sperrangelweit offen, doch der Arzt versteht unser Gemurmel nicht.  Es wird irgendwann vorbei sein. Ganz bestimmt. Man wendet sich an die Politiker, die an die Experten verweisen. Wissenschaftler haben aber die Angewohnheit, wenig diplomatisch zu sein. Von ihnen ist keine wertende Aussage über die Zukunft der Nation zu erwarten. Wissenschaften, besonders Medizin und Virologie, sind empirische Geschäfte. Ihre Antworten sind a posteriori - nach dem Fakt. Daher gibt es für uns nichts als die ewige Wiederkehr des Gleichen: Inzidenzzahlen, Stimmungsbilder, Hoffnungsschimmer und Verunsicherung. Die Medien agieren dabei offenbar intakt, denn sie tragen die Zweifel der Regierungen und der Wissenschaft weiter. Was kann man aber von der Politik erwarten? Persönliche Bereicherung steht auf der Skala hilfreicher Politik ganz unten. Darauf folgt die Wiedergabe von Fakten, Zahlen in Pressekonferenzen. Der Bürger wünscht sich allerdings konkrete […]

Covid: Zersetzender Opportunismus

Der Vorsitzende der Christdemokraten im Europa-Parlament, Manfred Weber, verteidigt den in Italien verhängten Exportstopp für den AstraZeneca-Impfstoff. "Es geht nicht um Europe first, aber auch die EU muss ihre Bürger selbstverständlich schützen." Wenn Zusagen nicht eingehalten würden, sei die Option eines Exportstopps für in der EU produzierte Impfstoffe richtig. Natürlich geht es um „Europe first“. Wenn man die Verträge von Astra Zeneca gegenüber anderen Ländern durch Willkür unerfüllbar macht, beschädigt man ein Rechtsprinzip. Jene Willkür hat Unverläßlichkeit der Rechtsordnung zur Folge, was gerade für Konservative wie Weber das höchste Gut sein sollte. Stattdessen sieht man an dieser Einstellung den politischen Trumpismus, einen egoistischen Trotz, der auf Ordnung scheißt, wenn sie eigene Zwecke einschränkt. Das sind gefährliche politische Wegweiser.

Der Katechismus der Moderne

Der Konsumerismus ist ein auf Frage und Antwort aufgebautes System. Seine Antworten liegen in den Gütern. Seine Fragen sind solche, die zum Bedürfnis auf Antwort werden. Die Person wird immer an einen Ort gerückt, wo die Umstände besser sein könnten. Die Lösung ist das Produkt. Garstig sind solche Produkt, die den Menschen an sich selbst zweifeln läßt. Man ist zu fett, zu faul, zu dumm, zu häßlich, zu arm. Solche Selbstbildnisse kommen nie aus dem Inneren eines Geistes, sondern von Außen. Es sind fremde Urteile, die wir aufnehmen und welche unsere Selbstauffassung verschieben und gleichzeitig Lösungen anbieten. Die Antwort ist mit Geld zu haben. Der Konsumerismus ist der moderne Katechismus.

Mein Zweifel beim Kreuzworträtseln

Zweifel ist wichtig. Zweifel kann aber auch unpraktisch sein. Wenn in einem Kreuzworträtsel die Lösung zur Frage „gewollte Handlung“ als „Tat“ festgelegt ist, kommen mir eben Zweifel daran. Im Strafrecht ist eine Tat zunächst der objektive Tatbestand, also das, was sich als Fakt ereignet hat. Es ist die Handlung des Täters, welcher Sachen, Werte oder Leben beschädigt oder zerstört. Dazu gesellt sich der subjektive Tatbestand. Das ist die Seite, welche von einem bewußten oder wenigstens einem in-Kauf-nehmenden Willen getragen ist. Wer also beispielsweise einen anderen Menschen mit seinem Auto anfährt und verletzt, kann das fahrlässig, also ohne bewußten Willen getan haben.  Er hätte aber auch, zum Beispiel bei Raserei, ahnen müssen, einen solchen Unfall zu verursachen.  Dann spricht man von […]

Progressiver Neoliberalismus

Es gab Heide, ein Spitzname für Heidtraut vielleicht oder was auch immer. Jeder nannte sie Heide und keiner störte sich daran, wenn sie auf dem Männerklo, ein Bein gegen die Wand gestemmt, die Unterhose zur Seite zog und im Strahl in‘s Urinal pißte. „Was ihr Kerle könnt, kann ich schon lange!“ Jeder kannte Heide und nahm es ihr nicht krumm, wenn sie auf dem Männerklo stand. Auch wenn es jedesmal eine Anekdote und Gelächter wert war. Auch als der dorfbekannte Schwule mit dem Nachwuchs hinter dem Friseursalon Sex hatte, zerriß man sich die Mäuler. Jeder wußte es, manche scherzten und das Leben ging weiter. Wenn man Udo, denSchwulen als „Schwanzlutscher“ bezeichnete, was selten vorkam, gab es von Udo eine in […]

Armutssafari.

Als ich das Buch “Armutssafari. Von der Wut der abgehängten Unterschicht” kaufte, erwartete ich womöglich die Geschichte von jemandem, der sich auf “Safari” durch die Armut begibt, was immer das heißt. Die ersten Kapitel behandelten die persönliche Geschichte eines in Glasgow, in einem kaputten Haushalt aufgewachsenen Menschen, der die Armut kennt. Die Geschichte wurde schnell sozialkritisch, als er den geplanten Bau der Autobahn durch den lokalen Park und die vorausgehenden Proteste, die daraus erwachsende Gemeinschaft und die letztendliche Realisierung des Großprojekts, inklusive Shopping-Malls beschrieb. Nach und nach nahm die Richtung Konturen an. Ein Gedanke schien durch, den Darren McGarvey in Synthese mit Armut brachte: Vorurteil und Ablehnung. Es war plausibel, seiner Auffassung zu folgen. Wer sich als Teil einer Klasse […]

Wachstum als Notwendigkeit der Sinngebung

Marx: „Das Bedürfnis nach einem ausgedehnteren Absatz für ihre Produkte jagt die Bourgeosie über die ganze Erdkugel.“ Und woher kommt dieses Bedürfnis nach Wachstum? Dem scheint niemand tatsächlich nachgegangen zu sein. Naturrechtliche Philosophie hat das Problem, daß sie von einer Vernunft beim Menschen ausgeht, die seine Emotionalität nicht berücksichtigt. Emotionalität ist das Eigentliche, welches man verfolgen muß. Gesellschafts- oder systemstrukturelle rationale Überlegungen sind nicht nötig. Wachstum entsteht aus dem Bedürfnis sich existentieller Ängste zu entledigen. Aus den ökonomischen Minima entsteht die Vorsorge, eine positiv rückversichernde Perspektive für die nahe und weite Zukunft. Der Mensch wägt sich in psychologischer Sicherheit, einem Gefühl der Ausgeglichenheit, wenn im Wachstum seine Anstrengungen reflektiert werden. Seine eigene Tüchtigkeit wird rückbestätigt. Ökonomie ohne Wachstum kann nicht […]

Gleichheit und Diskurs? Pah...

Ökonomie in Form des modernen Neoliberalismus hat ihre Berechtigung nach und nach aus einer wissenschaftlichen Fundierung gezogen und was allenfalls eine Theorie war (Adam Smith, etc.) wurde nach und nach zum Glauben. Als Daniel Kahnemann in den 1990ern den rationalen homo oeconomicus der Vernunft entledigte und ihn als irrationales, emotionales und verlustängstiges Wesen hinstellte, hätte eigentlich Schluß sein müssen mit dem Irrsinn des Wachstums. Und vielleicht hat gerade eine einsetzende Irrationalität („Angst“) des Systems zu seiner energischen Verteidungung geführt. Mehr Angebot, mehr Terror, mehr Ablenkung, mehr Heilsversprechen.