Marius Tullius Cicero und die Methode der Rechtsfindung

Marius Tullius Cicero

Marius Tullius Cicero lebte von 106-43 v.Chr. und ist in unserem rechtsphilosophischen Ausflug der letzte der antiken Rechtsphilosophen. Er sagte, Sokrates habe die Philosophie vom Himmel auf die Erde geholt, sie in den Städten und Häusern Wohnung nehmen lassen um über Leben und Sitten, gut und böse nachzudenken.  Das deutet schon darauf hin, daß Cicero vieles seiner Vordenker assimiliert hat. In einer Hinsicht unterscheidet sich seine Philosophie jedoch: Sein Verständnis von der Gleichheit der Menschen. Dazu später.

Marius Tullius Cicero Marius Tullius Cicero lebte von 106-43 v.Chr. und ist in unserem rechtsphilosophischen Ausflug der letzte der antiken Rechtsphilosophen. Er sagte, Sokrates habe die Philosophie vom Himmel auf die Erde geholt, sie in den Städten und Häusern Wohnung nehmen lassen um über Leben und Sitten, gut und böse nachzudenken.  Das deutet schon darauf hin, daß Cicero vieles seiner Vordenker assimiliert hat. In einer Hinsicht unterscheidet sich seine Philosophie jedoch: Sein Verständnis von der Gleichheit der Menschen. Dazu später. Cicero lebte in Rom und trug stark dazu bei, dort die griechische Kultur und Philosophie zu verbreiten. Dabei wurde durch […]

Cicero lebte in Rom und trug stark dazu bei, dort die griechische Kultur und Philosophie zu verbreiten. Dabei wurde durch ihn der Mensch in den Mittelpunkt philosophischer Betrachtungen gerückt, was den Begriff des Humanismus prägte. Zu seinen bedeutendsten Schriften zählen die Titel „Über die Pflichten“, „Über den Staat“, „Über die Gesetze“. Er war Redner, Philosoph und Politiker. Aus letzterem Grunde fiel er einem Mordanschlag zum Opfer.
 

Lex aeterna: Die Teilhabe an der göttlichen Vernunft oder das ewige Gesetz

Obwohl Cicero – im Gegensatz zu den Philosophen vor ihm – am politischen und rechtlichen Leben praktisch teilhatte, ist seine Rechtsphilosophie auf den Grundbegriffen seiner Vordenker aufgebaut. Zunächst ist es für ihn selbstverständlich, daß der Mensch in rechtlich organisierter, staatlicher Gemeinschaft leben muß. Das ist der empirische Teil seiner Rechtsphilosophie: Alle menschlichen Anstrengungen – und somit das Recht – müssen auf den Zusammenhalt der Gemeinschaft zielen. Das Recht ist allein auf dem (faktischen) Erfordernis gegründet, damit sich der Mensch erhalten kann. Es ist zweckgebunden.

„Es ist also der Staat die Sache des Volkes, das Volk aber nicht jede Versammlung von Menschen, auf welche Weise auch immer zusammengeschart, sondern die Versammlung einer Menschenmenge, die durch die Übereinstimmung der Rechtsvorstellung und die Gemeinsamkeit des Nutzens vereinigt ist. Deren erster Beweggrund aber zu diesem Zusammengehen ist nicht sosehr die Schwäche, sondern vielmehr eine Art natürlichen Geselligkeitsstrebens der Mensche; denn diese Gattung ist weder einsiedlerisch noch einzelgängerisch angelegt.“

Es scheint eine naturrechtliche Auffassung des So-Seins durch: ein „natürliches Geselligkeitsstreben des Menschen“ ist Ciceros Hypothese. Seine Rechtsphilosophie des Zusammenlebens basiert auf reiner Zweck-Mittel-Abwägung. Was, wenn jemand an diesem Zweck sein Verhalten nicht ausrichten will? Es beginnt (wieder) die Suche nach dem höheren Verpflichtungsgrund, der Metaphysik des Rechts, als dem nur (empirischen) Zweck. Die Metaphysik des Rechts liegt bei Cicero in einem ewigen Gesetz, lex aeterna, welches dem Menschen, der teilhat am Denken und der Vernunft Gottes, auf dem Wege der Erkenntnis zugänglich ist.

Es läuft darauf hinaus, daß dieses Lebewesen, umsichtig, klug, vielseitig, scharfsinnig, errinnerungsfähig, voll Vernunft und Einsicht, was wir Mensch nennen, mit einer ganz hervorragenden Ausstattung vom höchsten Gott geschaffen wurde. Denn es allein unter sovielen Arten und Wesen der Geschöpfe hat Teil an Vernunft und Denkvermögen, während dies alle anderen Lebewesen nicht besitzen. Was gibt es aber – ich will nicht sagen nur im Menschen, sondern im ganzen Himmel und auf der ganzen Erde – Göttlicheres als die Vernunft? Ist sie erstarkt und voll ausgebildet, wird sie mit Recht Weisheit genannt.

[…] Es ist allerdings das wahre Gesetz die rechte Vernunft, mit der Natur übereinstimmend, ausgegossen in alles, beständig, ewig; die zur Pflicht ruft durch Gebot, durch Verbot vom Trug abschreckt […] Dieses Gesetz zu ändern verstößt gegen die heilige Ordnung. Weder ist es erlaubt, etwas von ihm teilweise abzuschaffen, noch kann es ganz beseitigt werden […] sondern alle Völker und zu allen Zeiten wird ein Gesetz, ewig und unveränderlich, umschließen, und nur ein gemeinsamer Lehrer und Gebieter aller sozusagen wird Gott sein. Er ist der Urheber dieses Gesetzes […]

Hoerster, Rechtsphilosophie, S.61

Es ist ‚die Meinung der größten Philosophen gewesen, daß das Gesetz nicht in den Köpfen der Menschen ausgedacht worden, noch ein Beschluß von Völkern ist, sondern etwas Ewiges (aeternum quiddam), welches das ganze Weltall mit der Weisheit des Gebietens und Verbietens regiert‘.

Naucke, Rechtsphilosophische Grundbegriffe, S.37

Aeternum quiddam. Dieses ewige Gesetz ist es, was Gutes gebietet und Schlechtes verbietet. Das Gute ist das Gemeinwohl, wonach alle rechtlichen Regeln, die dem Gemeinwohl dienlich sind durch die Konformität zum ewigen Gesetz verbindlich werden. Denn nicht alles positive Recht eines Regenten ist gerecht – auch nicht, wenn es von den Regierten als „Recht“ akzeptiert wird.

(Hoerster, S.64): „Ganz töricht ist es, zu glauben, all das sei gerecht, was durch Einrichtungen oder durch Gesetze der Völker festgesetzt ist. Etwa auch dann, wenn es sich um Gesetze von Tyrannen handeln sollte? Wenn jene berüchtigten ‚Dreißig‘ (Tyrannen) Athen Gesetze hätten auferlegen wollen, würde man dann auch, wenn alle Athener an den tyrannischen Gesetzen Gefallen fänden, etwa deshalb diese Gesetze für gerecht halten? [..]. Denn es gibt nur ein einziges Recht, durch das die menschliche Gesellschaft gebunden ist und das wiederum nur in einem einzigen Gesetz fundiert ist, in dem Gesetz, das in der rechten Vernunft des Gebietens und Verbietens besteht.“

Die Beurteilung der Richtigkeit von positiven Gesetzen kann also ihrem ewigen Gesetz nach geschehen.

Hoerster, S.65: „Nun aber können wir ein gutes Gesetz von einem schlechten nur nach dem Maßstab der Natur trennen. […] Denn dazu gab uns die Natur gemeinsame Begriffe und legte sie in unserem Geiste an, damit das sittlich Gute unter die Tugend, das Schlechte unter die Laster gezählt werde.“

Wobei diese „gemeinsamen Begriffe“ aus Ciceros These entstammen, daß der Mensch als Art eben „Mensch“ ist und nichts anderes. Daß er sich daher in seinem grundsätzlichen Wesen nicht vom anderen unterscheidet. […]

Hoerster S.63.: Es gibt nämlich kein einziges Wesen, das einem anderen so ähnlich, so gleich ist …

Der Mensch ist durch das „göttliche Geschenk des Geistes bereichert worden“; er besitzt die Fähigkeit, zu denken und damit die Voraussetzung, überhaupt das ewige Gesetz zu erkennen, um es dann in seine Welt zum positiven Recht übertragen zu können. Aus dem Gesagten ergibt sich Ciceros These fundamentaler Gleichheit aller Menschen und damit der Unterschied seiner Philosophie zu der seiner Vordenker: Zum einen hat jeder Mensch an der ewigen göttlichen Vernunft teil, die ewiges Gesetz ist; und zwar durch die Fähigkeit vernünftiger Erkenntnis durch Denken. Zum anderen unterliegt jeder Mensch dieser göttlichen Vernunft, die sich in Geboten und Verboten äußert.

Bei der Frage der praktischen Gleichheit gründet Cicero keineswegs eine universelle Theorie, welche sich auf alle Menschen bezieht. Es gibt durchaus Unterschiede. Cicero ist ein früher Verfechter des Gedankens, wonach Zweck des Staates die Garantie des Eigentums ist. Eigentum wird somit zu einem Stützpfeiler einer geordneten Gesellschaft.

Diejenigen, welche Volksfreunde sein wollen und aus diesem Grunde mit den Gütern einen Versuch machen, so daß der Besitzer aus seinem Eigentum vertrieben oder dargeliehenes Geld den Schuldnern nachgelassen wird, diese erschüttern die Grundfeste des Staates… Denn es ist der eigentliche Zweck des Staates und einer Stadt, daß die Sicherheit des Eigentums frei und unangefochten bleiben soll… Was ist es aber für Billigkeit, wenn ein Grundstück, das viele Jahre oder gar Menschenalter hindurch seinen rechtlichen Besitzer gehabt hat, Besitz eines ändern wird, der vorher keines hatte, und der es hatte, es verlieren soll?
Diese Art von Ungerechtigkeit war es, um deren willen die Lakedämonier ihren König Agis, was bei ihnen noch nie vorgekommen war, mit dem Tode rächten. Und seit diesem Zeitpunkt entstanden so große Zerwürfnisse, daß sich bald Tyrannen erhoben, bald die anständigen Bürger vertrieben waren, und dieser auf eine so vortreffliche Verfassung gebaute Staat allmälig zerfiel.

Marcus Tullius Cicero von den Pflichten, aus der Urschrift übesetzt mit philologisch critischen Anmerkungen von Joh. Jakob Hottinger. Zweyte Ausgabe, S.154

Das bedeutet jedoch nicht, daß Eigentumsverteilung dem Grundsatz der Gleichheit unterworfen ist. Eine Stände- oder Klassengesellschaft war für Cicero eine unhinterfragte, essentielle Struktur eines Gesellschaftssystems. Das wird aus folgendem Zitat deutlich:

Die zweite Vorsicht, die ich empfohlen habe, war diese, daß die Wohlthäthigkeit das Maß unseres Vermögens nicht übersteige. Wer wohlthäthiger sein will, als seine Umstände es gestatten, der handelt vor allem aus ungerecht gegen die Seinen […]

Marcus Tullius Cicero von den Pflichten, aus der Urschrift übesetzt mit philologisch critischen Anmerkungen von Joh. Jakob Hottinger. Zweyte Ausgabe, S.31

Die Entwicklung der Rechtspraxis

Maßgeblich für die Zeit Ciceros ist allerdings die Herausbildung einer Rechtspraxis, die Methode wurde. Am Beispiel des Zivilprozesses läßt sich dies verfolgen: Die heute wichtigste Erkenntnisquelle römischen Rechts, welches bis in unser heutiges BGB eindringt, ist das Zwölftafelgesetz. Es ist eine in 12 Tafeln gefaßte Aufzeichnung des damals geltenden Rechts (450 v.Chr.) und wurde nie förmlich aufgehoben. Seine Besonderheit stellt der konditionale Aufbau dar, der sich als Tatbestand und Rechtsfolge darstellt (condicio = wenn – dann). Auf den gleichen Aufbau heutiger Gesetze muß nicht extra hingewiesen werden.

Das  Zwölftafelgesetz verdankt seinen Namen seiner Entstehungsweise:  Von zehn richterlichen Beamten, den sogenannten Decemviri, verfasst und auf zwölf Bronze- oder Holztafeln geritzt, sollten strittige Fragen des Gewohnheitsrechtes geklärt werden.

Es fand eine Zweiteilung des Zivilprozesses statt. Ihm wurde ein Legisaktionenprozeß vorgeschaltet, der die „Klageart“ für ein bestimmtes Verfahren bestimmen sollte. Das weist schon auf eine gewisse Schemenhaftigkeit hin, die sich vor allem in dem Ziel der Findung allgemeiner Rechtssätze ausdrückte: Die klassische Rechtswissenschaft wurde entwickelt, indem man aus der Erfahrung mehrerer gleichartiger Einzelfälle die Gemeinsamkeiten exzerpierte und dies in Theorien zusammenfaßte. Das war Beginn der Dogmatik.

Kunst und Methode

Die „Kunst“ (ars, techne) der Rechtsfindung ist die Praxis der Jurisprudenz. Vom griechischen Wort prattein – handeln – kommt man zum Begriff prudentia. Denkt man weiter, womit sich Rechtsgelehrte befassen, iuris, dann ist die Brücke zur „Jurisprudenz“ schnell geschlagen. Diese „Kunst“ ist praxisbezogenes empirisches Wissen, also durch alltägliche Erfahrung initiiertes Verhalten des Juristen. Die Methode entsteht aus der Theorie (theorein = betrachten). Man betrachtet nicht im empirischen Sinne, durch Wahrnehmung der Augen z.B., sondern mit der Vernunft, dem Verstand. Daher „scientia„, der andere Part zur „prudentia„, heute im Englischen „science“, Inbegriff für die Wissenschaft.

Was ist Methode? Einmal enthält dieser Begriff meta – was soviel bedeutet wie „von – nach“ und zum anderen todos – den Weg. Die Methode ist also der direkte, lineare Weg von A nach B. Vom Allgemeinen zum Besonderen. Das ist die deduktive Methode (nicht nur) der Rechtsfindung. Es gibt aber auch den umgekehrten Weg – von B nach A. Dies ist die induktive Methode. Beginnen wir mit letzterem. Der Weg vom Besonderen zum Allgemeinen ist der Weg, von konkreten Erfahrungswerten, also empirischen Beobachtungen der wahrnehmbaren Welt, zu allgemeinen Annahmen zu kommen. Genau so macht es die Wissenschaft. Nehmen wir ein plakatives Beispiel: Ein Verhalten, wie z.B. das eines zu Boden fallenden Steines, wurde immer und immer wieder beobachtet. Daraus entstand der Rückschluß, daß ein Körper, der sich in einigem Abstand zum „Boden“ befindet, in Richtung jenes „Bodens“ fällt. Der Boden – etwas wissenschaftlicher gesprochen – ist Teil der Erdmasse, die Masse selbst. Massen also, so das Gesetz, stehen in Wechselwirkung – sie üben Kraft aufeinander aus. Weiterhin läßt sich beobachten, bzw. messen, wie schnell der Körper fällt. Daraus wurde die Erdbeschleunigung, wie es die Schulphysik heute lehrt. Der Stein beschleunigt mit 9,8 m/s². Ein allgemeiner Satz, ein Gesetz also, welches aus konkreter Erfahrung „induziert“ wurde.
Allerdings ist durch dieses so postulierte Naturgesetz nicht die Möglichkeit ausgeräumt, daß der Stein, den ich in der Hand halte, nach dem Loslassen, nicht schweben oder sogar nach oben – von der Masse weg – fallen könnte. Sobald das passierte, wäre das Gesetz über die Erdanziehungskraft widerlegt, falsifiziert (s. Karl Popper).

Da die Möglichkeit zu Falsifikation nie ausgeschlossen ist, kann man, folgt man Ciceros Philosophie, aus reiner empirischer Erfahrung nie wirkliches Wissen erlangen. Alle aufgestellten Naturgesetze sind nur deshalb existent, weil sie nie widerlegt werden konnten. Reines Wissen aus der Vernunft, wie schon Platon bemerkte, ist höher als das aus der Erfahrung fließende.

Und alles dreht sich um eine Frage: Wie kann aus einem (beobachtbaren) Sein ein Sollen entstehen? Soll man ein Gesetz allein deswegen befolgen, weil ein es existiert? Der Weg von A nach B, die deduktive Methode, bedeutet demnach den Rückschluß von allgemeinen Sätzen (Gesetzen) auf besondere Schlußsätze. Vom Abstrakten zum Konkreten also. Das setzt allerding einen allgemeinen Satz, ein Gesetz voraus, zum Beispiel: Ein Körper bewegt sich (durch die Gravitationskraft) immer in Richtung Erde (Boden). Ist jetzt der Fall gegeben, daß ich einen Stein in meiner Hand halte, „weiß“ ich – aus dem physikalischen Gesetz, daß er beim Loslassen zu Boden fallen wird. Ich schließe aus dem allgemeinen Satz auf das (bevorstehende) konkrete Geschehen zurück. Das ist die deduktive Methode.

Für das Recht bedeutet dies, daß ich mein Verhalten nach gültigem Gesetz ausrichten kann. Ich weiß, daß ich bestraft werde, wenn ich stehle. Nur am Rande sei daran erinnert, daß dieses „Wissen“ aus allgemeingültigem Gesetz kein Wissen im Sinne von vernünftiger Erkenntnis des „Wahrhaft Seienden“ (àPlaton) darstellt. Der Anspruch eines faktisch bestehenden Gesetzes auf Geltung wird die Rechtsphilosophie in der Zukunft weiterhin beschäftigen. Die Kunst der Rechtsfindung dagegen ist der Vergleich zwischen Rechtsfällen und die Anwendung abstrakter Begriffe. Sie ist keine Methode. Aus Gemeinsamkeiten mehrerer Rechtsfälle wird ein Obersatz abstrahiert, der auf den behandelten konkreten Fall angewandt wird (wenn dies möglich ist). Kunst der Rechtsfindung ist demnach das auf ein bestimmtes Ziel hingerichtete Nutzen von Methoden.

Um einen abstrakten Obersatz zu gewinnen, muß zunächst ein Vergleichskriterium gewonnen werden, ein tertium comparativis, um den einzelnen Fall dem anderen gegenüberstellen zu können. So ist ein Apfel ist mit einer Birne nicht vergleichbar. Zumindest solange nicht, wie kein Vergleichskriterium gefunden wurde. Man kann als Vergleichskriterium die Eigenschaften wie Gewicht, Form, Farbe, Gattung usw. nehmen und unter diesem Aspekt Vergleiche ziehen. Ebenso gilt es bei Rechtsfällen zu fragen, worin ihre gemeinsame Eigenart besteht im Hinblick auf ein bestimmtes Kriterium.

Als Bedingung für die Möglichkeit eines Endurteils des Richters muß sich dieser ein Judiz, ein professionelles juristisches Vorurteil über den Fall, bilden. Man muß zunächst fragen, wonach gesucht wird, welches Ergebnis überhaupt angestrebt werden soll, bevor man seinen Lösungsweg bestimmen kann.

Ein ähnliches Problem ergibt sich auch bei der Deutung philosophischer Texte: Der Standpunkt des „Beobachters“, des Lesers, bzw. seine Frage an den Text, bestimmt das Ergebnis seiner Aufnahme des Gelesenen. Das ist eine Ausprägung der Hermeneutik. Praktisch besonders bedeutsam wird dies, ähnlich wie hier, bei Lehrbüchern und Abhandlungen Dritter über Originale eines Denkers: Alles ist eingefärbt durch persönliche Deutung und Weltsicht. Es sei nur auf den „platonischen“ Sokrates verwiesen.

Ertrag

Cicero geht – wie seine Vordenker – in der Idealvorstellung des Rechts von einem aus der Vernunft geborenen Zustand aus. Sein Menschenbild wiederum beruht auf einem Gedanken fundamentaler Gleichheit aller menschlichen Individuen, auch wenn sein Gesellschaftsbild stark am Ständesystem orientiert bleibt. Er zweifelte nicht am Sinn der Sklaverei. Dennoch teilt der Mensch die gleiche „Grund-Vernunft“. Tatsächlich ist es ein faktum, daß der Mensch – von der Warte des Nutzens und Schadens seiner Handlungen aus gesehen – gleiche Konsequenzen zu tragen hat. Ebenso gibt es einleuchtende Gesetze – solche, die nicht allein durch ihre faktische Geltung existieren, sondern nahezu jedem Menschen als gerecht und richtig gelten. Das sind insbesondere solche, mit denen Menschen sich in ihrer eigenen Lage identifizieren können – wo sie das Gesetz zu ihrem eigenen Schutz (Nutzen) ansehen. Plakativ beispielsweise das strafrechtliche Verbot der Allgemeingefährdung durch Freisetzung ionisierender Strahlung. Es fragt sich aber, ob nicht allein die emotionale Einstellung – nämlich vorrangig Angst – oder auch die herrschende und anerzogene Moralvorstellung die grundlegende Vernunft eines Menschen verzerren oder trüben kann. Insbesondere, wenn die grundlegende Formel der Gleichheit bestimmte Menschengruppen auschließt.


 

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