Geburt der Zyniker

Der Takt ist schneller geworden. Instinktiv sind wir in einem Zeitalter der Eindämmung angekommen, wo Mystizismus, Religion, Ideologie, Entertainment der Panikmache weichen. Ist die protestantische Ethik der Freiheit durch Arbeit am Ende? Ist der ökonomische Wachstumsmythos aufgebraucht? Wachstum bedeutet Frequenzerhöhung. Diese kann man durch Anreize (Geld) und Panikmache (Informercials) erreichen. Ein panische Spirale der Illusionen, in welcher Angst, die ultima ratio, um sich greift. Selbsterhaltung eines Systems, dessen Zeit gekommen ist.

Menschen klammern sich an Zeit als eine beständige, kalkulierbare Regel. Wir brauchen Takt, um zu ihm tanzen zu können. Die Flucht zur Entledigung von existentieller Langeweile und notwendiger Konfrontation mit dem Selbst.

Sag’ mir, was zu tun ist! Die wahre Aufklärung hat es nicht in die Köpfe der Menschen geschafft; sie hat die Leere nicht genommen in welche wir unsere Fragen rufen. Darum nehmen wir gerne Hilfe in Anspruch. Die heilige Dreifaltigkeit, das Heilige selbst, ist ein interessanter Ansatz mittels Mystizismus Faith, Urvertrauen, entstehen zu lassen. Religion kann man so auslegen, daß sie im Kern den Ausruf Kant’s sapere aude! mitträgt. Mit dem Unterschied, daß die Kirche nicht Vertrauen in das eigene Selbst, sondern in eine höhere Macht legt. Was für ein Geniestreich!


In der blumigen Auslegung der Lutherschen Reformationsideen ist der Glaube ein ureigener. Er ist Gottvertrauen in den eigenen Glauben selbst und in die Existenz der Barmherzigkeit und Liebe als ewiges Wachsendes, Behütendes. Nüchterne Exegesen beschäftigten sich allerdings mit der Frage nach Praktikabilität. So einfach ist es nicht, dem Menschen Vertrauen einzuhauchen.  Barmherzigkeit und Liebe kommen für den Menschen nur vom Menschen. Die Welt der Erhärteten Ängstlichen ist es nicht. Der Mensch braucht Zeichen und Wunder. Um seinen existentiellen Zweifel in einer tatsächlichen Welt mit metaphysischem Vertrauen zu vertreiben, haben die Protestanten nachhaltig Zeichen gesetzt. 

In Momenten, wo jemandem weder Barmherzigkeit noch Liebe zuteil wird, nagt der Zweifel, ob der sinnleere Abgrund, das Fegefeuer, etc. nicht der unentrinnbare Fall ist. Nein, sagt der Protestant, das Leben ist Leid, doch der Bürde folgt Seligkeit. Und wenn nicht, dann ist das nicht zu ändern. Es sei denn – und hier ist der folgenreiche Zynismus in protestantischer Logik – man zeigt, daß man dazu geboren ist. Der nämlich, welcher tüchtig ist, der mag auserwählt sein. 

Hier ist die Geburtsstunde des Zynikers. Jener erkennt, daß ein Mensch Wunder und Zeichen braucht. Im Jargon der Zeit kann man sagen, daß Sklaverei für den Zyniker eine Win-Win-Situation ist. Er befreit die Menschen aus ihrer Angst vor Mündigkeit, während die Menschen seine Mühlräder drehen. Kirchensteuer, Arbeitsethos und nun Terrorängste. 

Der Takt ist schneller geworden. Instinktiv sind wir in einem Zeitalter der Eindämmung angekommen, wo Mystizismus, Religion, Ideologie, Entertainment der Panikmache weichen. Ist die protestantische Ethik der Freiheit durch Arbeit am Ende? Ist der ökonomische Wachstumsmythos aufgebraucht? Wachstum bedeutet Frequenzerhöhung. Diese kann man durch Anreize (Geld) und Panikmache (Informercials) erreichen. Ein panische Spirale der Illusionen, in welcher Angst, die ultima ratio, um sich greift. Selbsterhaltung eines Systems, dessen Zeit gekommen ist.

Ein System, in welchem Banken “systemkritisch” genannt werden, hat sich mit seinem Zynismus weit aus dem Fenster gelehnt. Und seine Teilchen nehmen es dem System übel. Das Wirrwarr des Informationszeitalter läßt den Menschen sich nach einfachen, sequentiellen Antworten (i.e. Wahrheiten) sehnen. Das weiße Rauschen ist nervtötend geworden. Was folgt Panikmache? Vielleicht, daß die Fassade demokratischer Mitbestimmung zu bröckeln beginnt. Die einen fordern heute politische Aktion und folgen denen, die sie am lautesten versprechen. Andere sind in der Zwickmühle, einen Humanismus zu vertreten, der inzwischen pervers eng mit einer Ökonomie der Gier verwobenen ist. Die freiheitlichen Werte der Demokratie werden von jenen hochgehalten, welche sie jahrelang unterminiert haben. Die Verfechter der protestantischen Arbeitsethik werden zu Zynikern – gewollt oder nicht. Sie halten die Errungenschaften eines ökonomiegetriebenen Sozialsystems hoch, welche nichts als Erinnerung sind. 

Der Mensch steht im Wettbewerb gegen seinesgleichen Homo homini lupus. Dabei ist die gegenwärtige Situation kein Naturzustand, sondern ein künstliches Gesellschaftskonstrukt. Also halten wir uns fest an der Religion der Märkte und ihrer “Selbstregulierungsmechanismen”, deren Zweck doch nur jener ist, für eine immer kleiner werdende Bevölkerungsschicht profitabel zu bleiben. Der Mechanismus des zynischen Hirten ist ein ewiger. Es wird immer Menschen geben, die anderen zu Lebens-Vertrauen verhelfen und sie im Gegenzug ihres materiellen Lebens berauben, vor allem ihrer Zeit. 

Sapere aude! Bediene dich deines eigenen Verstandes! Oder besser noch: Wichtig ist, daß der Mensch aufrecht geht. Dies scheint mir die einzige Verteidigung gegen die Ausbeutung menschlicher Daseins-Zeit.