Die AFD hat viele ihrer Wähler verraten. Ich bin im Osten aufgewachsen und dort (wenn ich in Deutschland bin) Zuhause. Vor 26 Jahren wurden in den Landkreisen Sömmerda, Artern, Mansfeld zum Beispiel über 20.000 Menschen an einem Tag auf die Straße gesetzt. Jeder Fünfte saß auf der Straße. Viele waren gezwungen, den Sozialstaat in Anspruch zu nehmen. Und im Osten fühlte man sich verletzt und entwürdigt, denn Arbeitsverlust hieß, wertlos zu sein. Die staatlichen Almosen wollte niemand von uns – aber wir brauchten sie und arrangierten uns damit. Das Durchschnittseinkommen im Osten betrug bei gleicher Arbeit nur ein Drittel von dem im Westen der Republik. Das war die Ära der CDU. Bis Gerhard Schröder’s SPD die Almosenempfänger zu Bürger zweiter Klasse herabsetzte.
Der „Harzer“ war mit der „Agenda 2010“ zum Inbegriff des arbeitsunfähigen oder arbeitsunwilligen Verlierer, dem „Sozial Schwachen“. 2015 gab es einen Tag, an welchem die Reallöhne und die Verbraucherpreise auf den Charts zusammenkamen. Der Anstieg der Löhne blieben bis 2023 – in Ost und West – unter dem Anstieg der Lebenskosten. Fast drei Jahrzehnte sind vergangen und die Löhne im Osten sind noch immer unter dem Niveau Westdeutschlands. Bei manch einem entfacht das Ärger, denn es trägt noch immer die fehlende Wertschätzung mit.
Die „Parteien der demokratischen Mitte“ haben es in knapp drei Jahrzehnten nicht geschafft, eines der wichtigsten Themen anzugehen: Gefühlte Ungleichheit durch reale Unterschiede in der Entlohnung. Das ist nur eines der Probleme; aber es ist wichtig für jemanden, der im Osten arbeiten geht. Wenn wir uns von keiner Partei gehört fühlen, dann wählen wir jede Alternative.
Die AFD ist die Alternative, weil keine andere „neue“ Partei da ist. Die AFD verspricht, etwas zu unseren Gunsten zu ändern. Aber das ist gelogen, denn sie wird Steuern von jedem von uns einfordern müssen, weil sie die reicheren Menschen im Land entlastet. Ihr eigentlicher Betrug am Wähler liegt darin, dass sie die ökonomischen Umstände nicht ändern kann; sie kann – so wenig wie andere Parteien – keinen Einfluß auf makroökonomische Zustände nehmen, ohne die Bevölkerung in die Pflicht zu nehmen. Sei es durch Zwangsarbeit oder „einfach nur“ subventionierte Geschenke an Unternehmen. Das bezahlt der Steuerzahler. Und das ist bei der AFD – aus der Natur der Sache – nicht anders als bei den Übrigen.
Der andere Betrug ist die Migration: Wir Ossis „haben keine Probleme mit Ausländern“. Wir haben das „aber“ – und das hat die AFD für uns vereinnahmt. Sie geben vor, das wichtigste Problem seien Asylanten und Migranten, denn zuerst steht immer Sicherheit. Nachdem man uns verunsichern wollte kann das sein. Aber was ändert das an unseren Löhnen? Was ändert es für den malochenden Ossi, wenn alle „Sozialschmarotzer“ abgeschoben, ausgewiesen oder in Arbeit gezwungen sind?
Der Verrat der AFD, insbesondere an der Ossis, liegt darin, das Vertrauen auf Änderung zu missbrauchen. Sie ficken uns, um in der Sprache der Zeit zu bleiben. Genauso, wie alle übrigen. Das Ohnmachtsgefühl bleibt und ich will diesen Zirkus nicht, der aufgeführt wird, um mir zu vermitteln, wie sehr ich „mitgestalten“ kann. Der Ossi will, dass jemand anderes gestaltet. Apropos Sozialschmarotzer: Was ist mit denen, die auf falschen Versprechungen Diäten kassieren? Und mit denen, die unser schönen, modischen und technischen Dinge bauen und verkaufen, Services anbieten, die wir mit unserem erarbeiteten Geld bezahlt haben. Worauf wir mehr Steuern zahlen als die, welche aus Vermögen Vermögen machen. Die AFD nennt sie nicht „Sozialschmarotzer“ aus gutem Grund.
Bei mir Zuhause heißt es: „Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.“