Diese Gesellschaft?

Das Erfolgskonzept von Wachstum scheint bisher aufzugehen. Deswegen bildet die Gesellschaft junge Menschen heraus, statt sie zu aufzuziehen. Wer gleich einer Kletterpflanze dem Pfad der Bildung folgt, wächst schnell dahin, wo der Erfolg wartet. Pflänzchen, die in andere Richtungen sprießen, werden zurechtgestutzt und ihre Energie reicht mehr, um in die Höhe zu wachsen. Wobei der Begriff Höhe eine gesellschaftstheoretische Definitionsfrage ist. Wie kann so Individualismus bestehen?

Selbst wenn 2019 das Jahr der statistisch „höchstentwickelten“ Menschheit war, bleibt der Begriff “Entwicklung” einer Definition schuldig. Statistisch jedenfalls, gab es nie weniger Armut (10% im Vergleich von 40% 1981), nie weniger Kindestode, nie weniger Krankheiten und Home-Computer mit neun Prozessorkernen.

Dennoch scheint das Zeitalter kollektiver und medialer Hysterie begonnen zu haben. Es sind weniger die Inhalte, sondern vielmehr schierer Überfluß an Information, welche psychologischen Wirbel verursachen. Diese Information ist hoch getaktet, verdichtet, kopiert. Der Fokus des Subjekts wird zum Objektiven, nach Außen, gezogen. Die Massenmedien vor dem Informationszeitalter sind sozusagen die Urgroßeltern des modernen Informationsnetzes. Die einfache Erreichbarkeit von Millionen von Individuen hat Magie, welche der Mensch schwer widerstehen kann. Medien sind von ihrer Natur her manipulativ. Die Perspektive einer Information liegt immer bei demjenigen, der sie verbreitet.

Eine der hartnäckigsten Botschaften wird seit der Reformation wird verkündet: Daß in Arbeit Glückseligkeit liege. Als ob der Mensch im Grunde faul wäre! Die Perspektive des Empfängers wurde jeher auf dessen Situation gelenkt, in Himmel oder Hölle verweilen zu müssen, in gut bezahlter Arbeit oder in der Gosse. Innere Motivation, eine eigene, selbstverantwortliche Aufgabe zu leisten (Kant), verliert den Fokus. Es fällt jedenfalls auf, wie schwach das fragile Geflecht von Vertrauen in die Motive und das Vermögen in Mitmenschen ist. Als würde es von einer wirren Art von Individualismus zerfressen. Als sei Arbeit Pflicht. Eine vielversprechende Erklärung dieses Individualismusverständnisses bietet elementare, existentielle Angst und ihre Befeuerung.

Das Erfolgskonzept von Wachstum scheint bisher aufzugehen. Deswegen bildet die Gesellschaft junge Menschen heraus, statt sie zu aufzuziehen. Wer gleich einer Kletterpflanze dem Pfad der Bildung folgt, wächst schnell dahin, wo der Erfolg wartet. Pflänzchen, die in andere Richtungen sprießen, werden zurechtgestutzt und ihre Energie reicht mehr, um in die Höhe zu wachsen. Wobei der Begriff Höhe eine gesellschaftstheoretische Definitionsfrage ist. Wie kann so Individualismus bestehen bleiben?

Das Informationszeitalter ruft, mehr als seine Vorgänger, Verunsicherung hervor. Omniscient, bedeutet, sich aufgrund der Hochverfügbarkeit von Daten aus Suchmaschinen, in Wissen zu glauben. Besonders Informationen von existentieller Bedeutung, wie zum Beispiel Krankheiten, sind exemplarisch für das Dilemma des in allen Bereichen Bewanderten. Wer im Internet aus Symptomen eigene Krankheiten ableiten will, geht letztlich doch zum Arzt. Denn es braucht mehr Vorkenntnis, die dem Laien fehlt. Allerdings trägt der Patient das Gefühl der Allwissenheit in die Praxis. Durch eigene Recherchen mißtraut er schlimmstenfalls dem Arzt, ergibt sich letztlich, weiterhin verunsichert und ist gestreßt. De omnibus dubitandum. Die Welt in Zweifel zu ziehen ist eine philosophische Tugend. Werden aus Internetnutzern Philosophen?

Es werden jedenfalls Stimmen laut, die Gegenargumente und Widerstand leisten, was von Beschäftigung mit der Materie von Politik, Recht, Gemeinschaft herrührt. Weder in Ungarn, Polen, den USA oder Deutschland haben sich Lebensverhältnisse so dramatisch verschlechtert, daß man allein daraus Rassismus oder Klimaproteste erklären kann. Während die Verteidiger des Klimas in die Zukunft denken, sind die konservativ-rechten Gedankengänge auf Vergangenheit gerichtet. Beides zeugt von prinzipiell-philosophischem Nachdenken und dem Suchen nach Lösungen für gegenwärtige Probleme.

Ob die Lösungen progressiv oder konservativ daherkommen; es sind beides im Vorverständnis des Gegebenen gesponnene Welten. Während Konservativität ihre Attraktivität aus der Erinnerung an „bessere Zeiten” bezieht und sich in Schneckenhäuser zurückziehen will, ist die Progressivität eine Vision, die der Verwechslung mit dem Begriff “Fortschritt” preisgegeben ist. Das Konservative hat das Argument von Erfahrungswerten. Was einst funktioniert hat, muß noch immer funktionieren. Neben dem Problem der Deutung historischer Fakten und Lebenseinstellungen von Vorfahren zeigt sich eine verkürzte Vision auf rechtsnationale Werte. Werte der Humanität spielen keine Rolle. Das gilt prinzipiell für jenen proklamierten Fortschritt der Moderne, der auf technisch-ökonomisches Wachstum reduziert ist.

Eine These: Progressive wie Konservative suchen nach Urvertrauen in Gemeinschaft. Beide fokussieren auf Schicksalsgemeinschaften und erliegen an ihren Rändern dem Wahn der Gleichheit im Sinne von Gleichmachung. Der Extremismus sieht die Möglichkeit der Gleichmachung lediglich in Auslöschung. Vor allem die Rechte tut sich zur Zeit stark hervor. Vielleicht ist dies das Erbe der stalinistischen Variante des letzten Jahrhunderts.

Noch ist es an der Ökonomie, ein besseres, ein natürliches Verständnis zu entwickeln. Vom monetären Wachstumsgedanken müssen wir uns verabschieden. Es gibt einen Punkt, wo selbst jene ohne Geld nicht mehr an dessen Macht zur Veränderung glauben. Dann taugt der Mammon selbst für die Reichen nicht mehr.