facebook veröffentlicht Hasskommentare? Unerhört!

Wenn Heiko Maas von facebook verlangt, seine Daten auf Rechtsverletzungen zu filtern und auf Nutzerhinweise zu reagieren, ist das ein guter Ansatz. Die Löschung dieser Inhalte ist es jedoch nicht. Denn da wird dem Recht keine Genüge getan und den Staatsbürgern ebenfalls nicht.

“Heiko Maas droht facebook wegen Hasskommentaren” liest es sich auf Spiegel Online. Man könnte annehmen, facebook hat Hasskommentare generiert. Im Kontext geht es jedoch um die Verbreitung von Haßkommentaren, also um die Bedingung zur Möglichkeit deren Verbreitung.

Die Selbstverpflichtung der sozialen Netzwerke im Internet haben, so der Bundesjustizminister, “zu ersten Verbesserungen geführt”. Allerdings hielten sich die Betreiber nicht zur Genüge an diese Abmachung. Sie seien zu langsam. Das größte Problem ist und bleibt, so Mass, daß “die Netzwerke die Beschwerden ihrer eigenen Nutzer nicht ernst genug nehmen”.

Es ist keine staatliche Zensur, wenn verlangt wird, strafbare Inhalte zu löschen. Meinungsfreiheit hört auf, wo das Strafrecht beginnt. Man kann hier Minister Maas nur beipflichten. Er muß sich allerdings einen gewichtigen Vorwurf gefallen lassen: Er nimmt den Staat aus der Pflicht.

Wenn gefordert wird, daß Internet-Plattformen ihre Daten filtern und bei Rechtsverstößen entfernen, wird zum einen die Strafverfolgung des Staates umgangen. Statt Strafe auf Straftatbestände folgen zu lassen, würden die Tatbestände einfach gelöscht. Die Tatsache, daß im Juli 2016 bundesweit Razzien gegen “Verbalradikalisten” durchgeführt wurden, soll nicht ignoriert werden. Stattdessen geht es um ein fundamentales Problem: Dem Staat als Ordnungshüter im Internet und seiner institutionellen Unfähigkeit, mit den sozialen Auswirkungen des Internets Schritt zu halten.

Heiko Mass’ Absicht ist hehr, sein Vorschlag aber ist keine Lösung der fundamentalen Probleme in der Gesellschaft. Netzbetreiber zur Filterung von strafbewehrten Inhalten zu verpflichten verändert nichts an der Situation derjenigen, die Hass verbreiten. Denn diese Menschen haben einen Grund sich so zu äußern – auch wenn diese sich dann für Geld oder Haftstrafen qualifizieren. Mass geht es verständlicherweise um die Eindämmung haßerfüllter Parolen und sogenannter fake news, damit davon nichts auf mehr oder minder unbescholtene Bürger, d.h. auf die generelle Stimmung, abfärbt. Denn Haß animiert, er gibt scheinbar jenen Mut, sich zu gesellschaftlichen Themen zu äußern. Er erzeugt mitunter einen häßlichen Hype.

Das Problem dabei ist, daß haßerfüllte Argumente für kritische, rationale Argumentation nichts taugen. Es scheint, als müsse man die Adressaten vor Bösartigkeiten und Fehlinformationen gewissermaßen schützen. Aber ist das Aufgabe des Staates?

Gehen wir zurück in die frühen 2000er Jahre: Filesharing-Plattformen wie Napster, Gnutella und später mega-upload wurden Ziel groß angelegter Gegenkampagnen. Die amerikanische Film- und Musikindustrie wurde zum Anwalt ihrer eigenen Sache, die Regierungen zur Exekutive. Die Plattformen, welche den Datenaustausch ermöglichten wurden direkt und mit aller Macht des Gesetzes angegriffen, während sich Abmahnanwälte um die Endnutzer balgten. Die Nutzer der Plattformen begingen im Grunde Gesetzesbrüche beim Hochladen von Musik, Software oder Filmproduktionen, während die Sharing-Plattformen nichts weiter als dieses taten: Eben eine Plattform anzubieten.

Auch eine Webseite wie mega-upload.com stellt lediglich eine Nutzerschnittstelle zur grundlegenden Funktion des Internets dar: Datenaustausch. 2017 entschied der neuseeländische High Court, daß der Betreiber von mega-upload, Kim Dotcom, endgültig an die USA ausgeliefert werden darf. Er sieht einer mehrjährigen Haftstrafe entgegen. Die Begründung seiner Strafe wird eine politische sein. Denn die Bereitstellung von Nutzerschnittstellen zum Datenaustausch kann und darf nicht strafbewehrt sein — dies ist eine fundamentale Funktion des Internet. Im Grunde handelt es sich bei allem Datenaustausch um das Internet per se. Daß die Medienindustrie den Weg geht, jeglichen Plattformen zum Austausch ihrer Werke das Wasser abzugraben, ist nachvollziehbar. Sie stand und steht dem gleichen faktischen Problem gegenüber wie Heiko Mass. Es gibt derzeit keine Möglichkeit der Komplettüberwachung derjeniger, welche Rechtsverstöße begehen. Mit anderen Worten: Noch ist es weder Regierungen noch der Medienindustrie unmöglich jeden einzelnen Internetnutzer zu überwachen. Technisch schon, faktisch nicht. Also wird der Kampf an jenen Fronten ausgetragen, wo sich große Ziele bieten: die Plattformanbieter. Für Maas sind facebook und twitter somit die ersten Adressen staatlicher Kontrolle.

Doch sind eben jene Institutionen im Internet nicht die Rechtsstörer selbst. Sie ermöglichen lediglich Rechtsverletzungen. Wenn jemand Kinderpornografie via Email verschickt, ist dann der Betreiber der Email-Servers verantwortlich? Wer ist generell verantwortlich für Datenaustausch? Die Provider, welche Server bereitstellen? Wie weit reicht das Prinzip der Betreiberhaftung? Die Diskussion um WLAN Hotspots in Deutschland verdeutlicht: Im September 2016 entschied der Europäische Gerichtshof zugunsten von (gewerblichen) WLAN Anbietern. Diese sind nicht zur Rechenschaft zu ziehen, wenn ein Nutzer ein Album von “Wir sind Helden” herunterlädt ohne es zu bezahlen. Jahrelang hat die Betreiberhaftung in Deutschland jegliche Innovation in Sachen offener WLAN Netze versagt. Im Grunde ist das Gesetz zur Störerhaftung so zu lesen: “Jeder, welcher öffentlich Internet zugänglich macht, haftet für alles, was im Internet vorgeht.” Das greift letztlich in die Existenz des Internets als solches ein.

Auf diesem Stand ist Herr Maas und andere Regierungen. Wir, als Staatsbürger, haben das Problem, daß unsere staatlichen Institutionen mit der Geschwindigkeit des Internets und seiner tatsächlichen sozialen Auswirkungen nicht mithalten können. Der Standpunkt des Justizministers ist nachvollziehbar, wenn man bedenkt, daß facebook den Ahnungs- und Anstandslosen eine einfach zu nutzende Plattform gibt. Aber die haben auch eine Stimme und eine Meinung. Wenn die Flut der Hetze, des Hasses, der Kritik auf uns, bzw. die Regierung hereinbricht, sind facebook oder twitter nicht causa. Soziale Plattformen geben ein Abbild sozialer Verhältnisse, die man durch digitale Löschkampagnen nicht verändern, geschweige denn verbessern kann.

Wie aber ist das Problem digitaler Rechtsverletzungen zu lösen, wenn nicht durch Betreiberhaftung oder totale Überwachung? Wer eine Rechtsverletzung begeht, muß dafür zur Verantwortung gezogen werden. Also der, welcher beispielsweise hetzt, verleumndet oder beleidigt. Der Staat muß in der Lage sein, anzuklagen. Wenn Heiko Maas von facebook verlangt, seine Daten auf Rechtsverletzungen zu filtern und auf Nutzerhinweise zu reagieren, ist das ein guter Ansatz. Die Löschung dieser Inhalte ist es jedoch nicht. Denn da wird dem Recht keine Genüge getan und den Staatsbürgern ebenfalls nicht.

Es erfordert Fingerspitzengefühl, wenn es um Internet-Straftaten geht. Kein Konzern und keine Staatsgewalt ist in der Lage, die Datenflut sozialer Netzwerke umfänglich zu prüfen. Algorithmen taugen nur zur groben Erfassung von potentiellen Straftaten. Jede Verfeinerung und Automatisierung läuft Gefahr, den Datenschutz zu untergraben und entfernt den (jeden) Internetnutzer von seinen Grundrechten nach Art. 5 I und Art 1 Grundgesetz. Der Internetnutzer darf nicht durch Algorithmen gläsern werden. Zwischen der Meinungs- und Informationsfreiheit und Menschenwürde (Art. 5 und 1 GG), befindet die 4, die Religionsfreiheit, deren Inhalt von Populismus derzeit regelrecht geschändet wird.

Letztlich sind die Internetnutzer gefragt, Inhalte zu filtern und zu melden. Die Politik sollte lediglich Plattformbetreiber wie facebook verpflichten, auf Nutzerinitiative und Anfrage, den Behörden Auskunft zu geben. Wenn die Justiz rein faktisch nicht in der Lage ist, jedem Haßkommentar nachzugehen, könnte man etwa über eine Art Abmahnverfahren nachdenken: Plattformbetreiber nehmen Nutzerhinweise ernst. Wenn daraufhin die Staatsanwaltschaft nach kursorischer Prüfung eine förmliche Verwarnung ausschicken würde, dezimierte sich die Anzahl der Wiederholungstäter. Wer nach zwei Verwarnungen wieder auffällt, wird angeklagt und durch durchläuft ein strafrechtliches Verfahren innerhalb ordentlicher Rechtsprechung. Das scheint immerhin besser, als Straftaten durch Löschen de facto zu ignorieren.