Warum wir Normalität fordern.

Man redet von "Normalität". Nicht nur Donald Trump oder Viktor Orban, sondern auch Friedrich Merz schlagen in diese Kerbe. Das, was normal ist, muß ihres Erachtens festgelegt werden. Ein Diktat von oben, vom Anführer. Und scheinbar sehnen sich viele Menschen nach dieser verbindlichen Normalität.

Es heißt, dass ein Kapitän, ein Anführer, die Richtung vorzugeben hat. Nicht, weil er immer recht hat, sondern damit ein einiges Ziel besteht. Damit Rechtssicherheit herrscht. Damit Zweifel der Gruppe nicht in Meuterei ausarten. Letzteres ist Demokratie, Pluralismus und das, was heute despektierlich unter Wokeness zusammengefasst wird. Das, was sich bei schlichten Gemütern auf Begriffe wie „Transen“, „Schwuchteln“ und „Multikulti“ reduziert.

Man redet von „Normalität“ und möchte nur noch eine Farbe: grau. Nicht nur Donald Trump oder Viktor Orban, sondern auch Friedrich Merz schlagen in diese Kerbe. Das, was normal ist, muß ihres Erachtens festgelegt werden. Ein Diktat von oben, vom Anführer. Und scheinbar sehnen sich viele Menschen nach dieser verbindlichen Normalität.

Tatsächlich wird Gleichschaltung betrieben: Pluralismus bedeutet nicht nur Meinungsvielfalt, sondern das vermeintlich chaotische Miteinander verschiedener Lebensentwürfe. Das ist die grundlegende Freiheit offener, demokratischer Gesellschaften. Das Woke ist von den Möchtegern-Diktatoren der simple Inbegriff dieser Offenheit. Sie stellen einen Spiegel auf, der die chaotisch-bedrohliche Gesellschaftsordnung zeigt, in welcher jede(r) sagen und machen kann, was er / sie will. 

In diesem Spiegel verwandelt sich die bunte Vielfalt, die Lebensansichten, die Herkunft, sogar das Aussehen zu einem bedrohlichen Spektakel des Chaos. Eines, in dem klare „Leitwerte“ untergehen, in dem sich Zweifel breitmacht. Diese Zweifel werden durch absurde Behauptungen und bedrohliche Szenarien geschürt. Man muss nicht soweit gehen, dass die Immigranten „Hunde und Katzen essen“. Es genügt, bestehende Probleme wie marode Schulen und Schwimmbäder auf „irreguläre Migration“ zu schieben. Also Begriffe zu erfinden, für die es in der Wirklichkeit und im Gesetz keine Pendants gibt.

Die offene Gesellschaft, wie es Karl Popper beschreibt, wird von denjenigen, die Anführer sein wollen, in ein Monster verwandelt. Aus Zweifel daran, wo die Zukunft hinführt, soll Angst entstehen, welche freie Menschen zuletzt entmündigt. Diese Rechnung scheint weltweit aufzugehen, weil die demokratischen Prinzipien nichts entgegenzuhalten haben. Denn es ist einerseits einfach, eine Behauptung aufzustellen, die Angst macht. Beispielsweise, dass der Russe vor den Grenzen steht. Die Entkräftung dieser Behauptung ist dagegen schwieriger; wie ein Gerücht, das einmal in der Welt ist.

Das eigentliche Problem liegt aber nicht in den Behauptungen und Gerüchten, die verbreitet werden – über Immigranten, LBTQ oder die Russen. Es liegt darin, dass uns kontradiktorische Informationen überwältigen. Sie werden stellvertretend für das vermeintliche Chaos offener Gesellschaften gestreut. Gestern las ich, dass der deutsche Sommer staubtrocken wird, die Wasserspiegel gefährlich sinken werden. Heute heißt es, dass wir nur Regen, Hagel und Unwetter erwarten müssen – wir ersaufen also förmlich. 

Das hat die die gleiche Wirkung wie Trumps Zölle: rauf, runter, hin, her. Die Wirklichkeit ist zwar eine unberechenbare, vielleicht chaotische. Sie fordert Zweifel von aufgeklärten Menschen. Aber die sich ständig ändernden Hypothesen der „Experten“, die unermüdliche Flut von nutzlosen und affektierenden Informationen, bieten tausendfach mehr Möglichkeiten, die man sich im Kopf ausmalt, als die Wirklichkeit bereithält. Ob es diesen Sommer regnet, schneit oder austrocknet – das Nachdenken darüber führt zur Erschöpfung, Resignation und der Forderung, dass es „endlich wieder richtig Sommer“ – also normal – werden soll.