Putin hier, Putin da

Er wird gehasst, angeklagt, verteidigt. Sein Gesicht ist überall und wurde zum Inbegriff des Angriffskrieges auf die Ukraine. Nun kocht die Gerüchteküche darüber, was mit Wladimir Putin nicht in Ordnung sein könnte. Ist er wahnsinnig? Hat er Krebs, Aids, Parkinson, oder alles auf einmal?

Warum Putin diesen Krieg führt ist seit seinem Beginn der berüchtigte Haken an welchem sich nahezu alle journalistischem Beiträge aufhängen. Allerdings wird außerhalb Russlands lediglich spekuliert und es werden Behauptungen aufgestellt und Was-wäre-wenn Szenarien diskutiert. Wer aus Russland direkt berichtet, dem drohen bei unvorsichtiger Äußerung von Wahrheiten fünfzehn Jahre Haft, während der Westen journalistisch auf Boulevard-Nivau bleibt. Wer sich in die Kriegsgebiete wagt und von dort berichtet, hat nichts außer Zerstörung vorzuzeigen. Nichts, was diesen Krieg von anderen unterscheidet. Dabei wirken die Beiträge der Reporter vor Ort wie Nebensächlichkeiten, wenn danach minutenlange „Experten“ ihre Hypothesen aufstellen.

Die „offene Gesellschaften“, beweisen, dass ihnen die Mittel und das Vorstellungsvermögen fehlen, diesen Krieg zu beenden. Besonders amerikanische Medien berichten, wie es um den Präsidenten bestellt sei und wie man ihn beseitigen könne / müsse / würde. Wird Putin damit nicht zum Kopf eines Ungeheuers gemacht? Woraus besteht dann sein Körper? Sind es ein paar Generäle und ideologietreue Tycoons? Das hieße, dass die Russinen und Russen nichts zu bestimmen hätten im Land — und es scheint so.

Hier liegt der Fehler der Weltgemeinschaft: Die Oligarchie als solche anzuerkennen, indem man lediglich ihre „Köpfe“ als stellvertretend für ein ganzes Volk ansieht. Die Bürger Russlands werden damit unsichtbar, ihre Stärke unterschätzt. Daher erscheint die Absetzung Putins auf eine oder andere Weise als Freisetzung eines Landes. Das ist offenbar die herkömmliche Strategie des Westens: die Befreiung von oben herab.

Aus der jüngsten Geschichte wissen wir, wo so etwas endet. Der coup d’etat im Iran, die Entzweiung der Sunniten und Schiiten im Irak, die endlose Tragödie in Afghanistan. Wobei Afghanistan zeigt, dass sich zumindest ein Sprössling der Demokratie entwickelte — auch wenn dieser innerhalb weniger Tage zertreten wurde. In Afghanistan zeigte sich der Unterschied zwischen militärisch gestützter Liberalität und tatsächlicher Demokratie. Letztere war unmöglich, weil die Taliban keine freien Wahlen brauchten. Sie hatten die Waffen, weil sie vom Westen Jahrzehnte zuvor zum Kampf ermächtigt wurden.

Auf gleiche Weise ermächtigt der Westen beispielsweise das extremistische Asow-Regiment durch die Einfuhr von Waffen. Er schafft die zukünftigen Grundlagen von Konflikt und Unfreiheit durch Aufrüstung von Teilen der Bevölkerung. Sie liefert Putin mittelfristig Argumente für einen Krieg gegen nationalistisch-faschistische Tendenzen.

Dagegen wird nicht über eine Ermächtigung der russischen Bürger nachgedacht, welche die Kriegsursache an ihrem Ursprung beseitigen könnte. In ihrem Kern liegt die Stärkung demokratischer Strukturen, welche die Bedeutung von Putin und der russischen Oligarchie obsolet machen würde. Wie das geschehen kann ist eine Denkaufgabe für all jene, welche die Offenheit ihrer Gesellschaft proklamieren.