99% Probleme, simple Analogien zur Lösung

Der Mensch kann sich nicht zerteilen. Wobei ich Freunde und Familie habe, die der selben Meinung sind: Du kannst dich nicht zerteilen, sagen sie und rennen hastig zur Arbeit und zur nächsten und zur nächsten - an ein und denselben Tag. Sie altern schnell und würden keinem Flüchtling was an den Hals wünschen. Dazu haben sie auch gar keine Zeit vor lauter Arbeit. Manche wollen dann nur noch abschalten und schauen Nachrichten, aber eben die unterhaltsameren.

Die Serie “Game of Thrones” ist heute vielen Menschen in der entwickelten Welt geläufig: In einer Phantasiewelt herrscht Zwist zwischen verschiedenen Parteien; es geht um die Macht über sieben Reiche. Alle diese Parteien meinen aus irgendeinem Grund, sich politisch betätigen zu müssen. Entweder sind da die Schurken, welche doch nur am Geld interessiert sind und die Guten; also die, welche sich das Geld nicht wegnehmen lassen wollen. Dann kommt es zu Zwist. Zivilbevölkerung spielt dabei keine Rolle – im Gegenteil: Als Randnotiz und Pöbel, als Mob und im Grunde bettelarme Menschen, meist tief religiös oder in Sekten organisiert, macht sie das Hintergrundrauschen in einer Welt der Großen, der Reichen, der Mächtigen. Schade eigentlich, daß die Drachen und seltsamen Zombies hinzukommen. Das lenkt vom Eigentlichen ab. Davon, daß die Welt als Spielball weniger Mächtiger gebraucht wird. Die restlichen 99% sind Fußvolk. Dabei ist mir als habe ich ein dejavu: Wo habe ich diese 99 schonmal gesehen?

Aaaaah, Occupy.

Da war von jenen 99% die Rede, denen von der restlichen Bevölkerung das Fell über die Ohren gezogen wird. Also im Grunde von jedem hundertsten ihrer Mitbürger. Wenn das so sein sollte, dachte ich mir, und alle meine Nachbarn mir nicht das Fell über die Ohren ziehen, dann kann ich doch mit denen rechnen. Zusammenrotten und in Gesellschaft von 98 Gleichgesinnten, den einen Fell-über-die-Ohren Zieher zur Verantwortung ziehen.

Doch dann kamen Nachrichten, bei welchen man, wie bei einem grausigen Verkehrsunfall, gar nicht weghören oder wegschauen kann, sosehr man auch angewidert ist. Quintessenz: Bis auf die Märkte, wird alles schlimm(er), aussichtslos(er). Manchmal wird es auch am aussichtslosesten, da Superlativen unsere geistige Hornhaut gar nicht mehr durchbrechen. Megalativen sind Standard. Können permanent beunruhigende Nachrichten andauernd recht haben? Pausenlos spiralt die Welt nach unten… Das muß Lüge sein! Atombombe? Ich habe noch keine gesehen vor meiner Haustür.

Jedenfalls hält das keiner aus, wenn einem ständig der Terror unter den Abtreter geredet wird.

Wenn man sich vorstellt, jeden Morgen eine braune Tüte unbekanntem Inhalts auf den Abtreter gelegt zu bekommen… Es könnte eine Tüte von Tante Edda mit Apfelkuchen sein. Oder auch die Kackbombe von den verkommen Nachbarsgören. Besonders nach den Nachrichten kann ich das Risiko wirklich nicht eingehen, das anzufassen. Allerdings, wenn ich die Tüte jeden Tag mit der Schippe schnell entsorge, halte ich es für möglich daß Nachbar’s Jungspunde mit größeren und grausigeren Überraschungen aufwarten…

Nun, wenn alles schlimmer kommt, dann besitzen womöglich nur noch 0,5 Prozent allen Reichtum. Aber man kann doch keinem halben Menschen von Hundert haben! Der Mensch kann sich nicht zerteilen. Wobei ich Freunde und Familie habe, die der selben Meinung sind: Du kannst dich nicht zerteilen, sagen sie und rennen hastig zur Arbeit und zur nächsten und zur nächsten – an ein und denselben Tag. Sie altern schnell und würden keinem Flüchtling was an den Hals wünschen. Dazu haben sie auch gar keine Zeit vor lauter Arbeit. Manche wollen dann nur noch abschalten und schauen Nachrichten, aber eben die unterhaltsameren. Trotz journalistischer Aufbereitung der Inhalte, bekommen viele unerklärliche Angst. Unerklärlich zum einen, weil sie nicht genau wissen, woher der Auslöser, also die unmittelbare Bedrohung kommt. Warum zermürbt man sich freiwillig so über Probleme, die man noch gar nicht ausmachen kann?

Es schwebt das etwas Unsichtbares, Ungreifbares wie Dieselstaubpartikel in der Luft, was uns jeden Tag gefährlich wird. Manchmal haben wir, also die 99%, Symptome von Vergiftung gezeigt: wir haben beispielsweise gehustet, als 8 Millionen Amerikaner 2008 aus ihren Häusern geworfen wurden, welche seitdem leerstehen. Wir haben sie unter Brücken campieren sehen und haben uns gefragt: Kann mir das auch passieren? Und wir haben unsere Jobs mit ganz anderen Augen gesehen; voller Demut und Dankbarkeit. Irgendwie wurden unsere Bedenken, Pleitebanken mit unserem Steuergeld zu retten zwar kritisch geäußert, aber bezahlt haben wir. Weil wir eingesehen haben, daß wir die Einprozent brauchen, weil diese Einprozent das Fundament, das Rückgrat unseres Gesellschaftssystems sind. Ohne das Fundament kollabiert jedes Konstrukt, daß nicht fliegen kann, so wie ein Wirbeltier ohne Rückgrat in sich zusammensackt. So sind wir zusammengesackt, unser Schicksal akzeptierend, vor den Fernsehern, den iPads uns Smartphones.

Der Unterschied zwischen einem Gesellschaftssystem und einer Gesellschaft ist

, daß das Rückgrat einer Gesellschaft naturgemäß immer Menschen sind. Ein System hat ein beliebiges, ein konstruiertes Rückgrat. Das zu ändern sollte in einer Demokratie kein Problem sein. Dachte ich.

Somit konnte Occupy gar nicht erfolgreich sein. Die Gesellschaft fand Occupy im Grunde gut und unterstützte moralisch. Das war so ungefähr einer aus der Nachbarschaft, der bei unserer system-kritischen Nachbarschaft (den Einprozent) auf dem Rasen campierte und sich beschwerte. Das zog ein paar Dutzend weitere Nachbarn an, die gafften und gleichzeitig dem Okkupanten alles Gute wünschten, weshalb der reiche Fell-über-die-Ohren-Zieher unruhig wurde und gelegentlich am Fenster zu sehen war. Allerdings konnte der Okkupant seine Forderungen nicht klar formulieren, also kamen immer weniger Gaffer. Der Okkupant hielt noch ein paar Tage aus und wurde dann von einem anderen Nachbarn ( der mutmaßlich in Geld oder Gütern entlohnt wurde ) aus dem Garten verjagt. Manchmal hatte ich den Verdacht, einige meiner Mitstreiter würden gar nicht mehr so recht bei der Sache sein, wußte ich doch um finanzielle Probleme und die tägliche Sorge.

Von Okkupanten will niemand mehr etwas wissen.

Allerdings wurden die Probleme nicht gelöst. Das spürten mehr und mehr; und vor allem für die am meisten Verängstigten war es kaum noch auszuhalten. Bis sich jemand Neues fand, der den Aufstand probte: laut und polternd, verärgert und schon immer mit dem Gesellschaftssystem im Clinch. Der und diejenige standen zuerst auf der Straße. Allerdings nicht vor dem Haus des reichen “Grundpfeilers” unseres Gesellschaftssystems, sondern einfach nur auf der Straße. Bis endlich ein Auswärtiger ankam und nach Unterkunft und Hilfe fragte. Christlich, wie viele meinten zu sein, schlossen sie zunächst den Flüchtling in die Arme. Eines Tages stand ein Schild auf dem Rasen unseres reichen Einprozenters: „Der Platz wird knapp“ stand da.

Als ein weiterer Flüchtling kam, wurde man stutzig und die Euphorie gemeinsamer Menschlichkeit verebbte. Dann hieß es plötzlich, daß es bald noch ein oder zwei mehr sein könnten. Bald, hieß es, würden mindestens noch zwei mehr kommen und Platz sei knapp. Man könne ja niemanden auf Dauer eine Couch anbieten, das ist ja nicht menschenwürdig für die armen Flüchtlinge. Oder christlich. Es gab Zweifel an der Aufrichtigkeit der neu Zugezogenen: Immerhin kamen sie aus Orten an denen barbarische Zustände herrschten – gottlose nahezu. Ihre Auffassung von Gott war die gleiche wie die der Mörder und Terroristen aus deren Heimat. So genau wußte allerdings keiner um die Feinheiten der Religion. Die Christen waren sich jedenfalls einig, daß alle Menschen gleich sind. Und deswegen waren alle Nicht-Christen auch gleich – untereinander zumindest. Es kam, daß zwei meiner Nachbarn Nachts einen der Zugezogenen verprügelten. Aus Verdacht, er könne einer der Kriegstreiber aus dem eigenen Ort sein und kein Vertriebener. Man kritisierte, aber den Schlägern passierte nichts.

Ich lebte inzwischen in einem Gesellschaftssystem, wo Gesellschaft nicht mehr viel wert ist.

Probleme versuche ich mit Geld zu lösen; wenn das knapp wird, sehe ich Probleme von übermorgen, bekomme Panik und versuche schneller und schneller den Mammon aufzutreiben. Da das meiste Geld bei unserem Einprozenter zu holen ist, mähe ich gelegentlich seinen Rasen oder entsorge seinen Müll. Meistens reicht das Geld gerade so zum Leben – ich weiß nicht, ob diese Probleme eintreten werden, aber die Zeit zum Innehalten fehlt mir, wegen dieses unsäglichen Weltschmerzes, der mir nur hypothetisch vorschwebt, aber von dem ich weiß, daß es ihn geben muß.