Können wir von Brasilien lernen?

BrasilDie Preissteigerung von Bustickets um sieben Prozent führte zur Mobilmachung hunderttausender Brasilianer auf den Straßen. Das sprichwörtliche Faß ist übergelaufen, oder sein Boden ausgeschlagen – welche Metapher auch immer. „Schluß mit Korruption!“ heißt die Hauptforderung inzwischen; wie eine Lawine hat sich der Protest entfaltet und seine Eigendynamik birgt das erhabene Gefühl kämpferischer Auflehnung. 

Davon träumen auch die Türken – wo ein Ministerpräsident nazihafte Gebärden an den Tag legt, gegen das offensichtliche Mandat der Massen auf dem Taksimplatz und darüberhinaus. In Brasilien ist es andersherum: Dort kämpft ein Frau gegen das Parlament an, welches Reformen verhindert. Bis heute jedenfalls. Die Präsidentin, Dilma Rousseff, begrüßt die Demonstrationen und kann nun ihre Chance für Reformen ergreifen. Immerhin hat sie ihre Haltung zur Korruption schon  zu Beginn ihrer Amtszeit klargestellt: sechs Minister ihres Vorgängers – notorisch korrupt – wurden dem Amt enthoben.

Die von der Präsidentin vorgeschlagenen Änderungen scheinen fast zu drakonisch, um wahr zu sein: Anti-Korruptionsgesetze, welche ihren Strafrahmen an den von Mord und Terrorismus anlehnen, sämtliche(!) Einnahmen aus der Ölförderung soll der Bildung zugute kommen und so weiter. Uns Europäern muß diese Rigorosität fast rebellisch vorkommen: Wir feilschen und handeln und schließen Kompromisse. Das sorgt für jede Menge legale Schlupflöcher. Doch Südamerika hat in der Vergangenheit immer eine progressiv-linke Haltung zu globalen Fragen eingenommen. Vielleicht liegt es daran, daß der laissez faire Kapitalismus noch keinen festen Griff um die Südamerikaner legen konnte. Oder ist das gerade die Folge dieser südamerikanischen Resistance, wer weiß.

Die Amerikaner sehen in solchen Maßnahmen den Bolschewismus durchscheinen; ein ängstliches Volk.

Eine Anekdote noch: Der Beginn der Proteste fiel mit den Plänen der Fußball-WM zusammen, die geschätze 40 Milliarden US$ Aufwand bedeuten. Sepp Blatter, FIFA-Boss, welcher (wieder einmal) eine unrühmliche Rolle spielen mußte, entgegnete zu Beginn der Proteste: „Der Fußball ist stärker als die Unzufriedenheit der Menschen. Wenn der Ball einmal rollt, werden die Menschen das verstehen, und das wird aufhören“, sagte er der Zeitung „Estado de São Paulo“

Interessant, daß die fußballbegeisterten Brasilianer unter den Demonstranten sind. Da fällt einem pikierten Blatter nur noch das ein: „Brasilien hat sich um diese WM beworben. Wir haben die WM nicht Brasilien aufgezwungen.“