Die Angst vor der Piratenbraut

„Digitale Lebenslinie“ nennt Paul Sobach die jüngsten Ausgrabungen zur neuen Landtagsabgeordneten Jasmin Maurer. Der Artikel liest sich wie die redaktionelle Zusammenfassung eines diskreditierenden Polizeiberichts. Sobach gräbt in der prä-politischen Vergangenheit Maurers und ihres Lebensgefährten, jagt Nutzernamen hinterher, wie SanguisDraconis, Bloodchild und SatansBraut89.Naivität oder Fokussierung?

Bürgerlicher Name Es sind nur Menschen: Belegt es vielleicht den Verdacht, daß das alte politische Modell ausgedient hat? Oder daß Partei-Gehabe vielmehr zur farce verkommen ist (in den Augen der Bevölkerung). Elementare Probleme. Es erinnert jedenfalls an Basisdemokratie in der Art, daß die Piraten – in dem Falle, das Mädchen von „next door“ – sich vornehmlichen Problemen widmen, sie fokussieren und nicht verkomplizieren.

Dabei sind viele der aufgezählten Verbindungen von Fakten zu Maurer bloß zugegebene Mutmaßungen. Sicherlich, da sind Gedanken eines Teenagers, der plötzlich zu politischer Größe kommt, interessant. Aber was hat der Traum von der „sexuellen Anziehungskraft glatzköpfiger Soldaten“ mit Jasmin Maurers politischer Befähigung zu tun? Vielleicht ist Maurer per se nicht die richtige Besetzung für ein politisches Amt. Vielleicht hat sie noch zu naive, unzusammenhängende, punktuelle Vorstellungen von der Welt und neigt dadurch zum in einigen Aspekten zum Radikalismus. Eines steht fest: Sie hat mit 23 Jahren äußerst wenig Berufserfahrung – ein Manko, das allerdings den meisten Berufspolitikern jeden Alters anhängt. Juristerei zählt nicht unter Berufserfahrung – das ist Besserwisserei. Glauben Sie mir, ich weiß es…

Maurer allerdings hat die Sehnsüchte, die Perspektiven, die Angst und den Namen eines durchschnittlichen deutschen Teenagers. Ihre sind nicht die diplomatisch ausgewogenen Worte von Berufspolitikern, deren digitale Identität erst im Laufe ihrer Karriere entstanden ist. Maurer ist ein einfaches Mädel aus einem einfachen kleinen Nest im Saarland. Was ist volksnähere Demokratie?

Vielleicht ist der CICERO Artikel ein Prototyp in der politischen Blogosphäre: Das Leben von einflußreichen Personen unter die digitale Lupe zu nehmen und die „schmutzige Wäsche“ (Anm. eines Kommentators) mehrmals komplett durchzuwaschen. Was die Piratenpartei betrifft, besitzt das vorgenannte Magazin allerhand konservativen Bias, um dies gegenüber Newcomern stringent durchzuziehen. Damit kommt Artikeln wie jenen von Paul Sobach eine grundlegende Bedeutung zu: Sie forcieren (politische) Transparenz. Sobach stellt im Falle des „Piraten“ Dittrich, dessen Migranten-Phobie im Netz aufgeflogen ist, klar, wie jener sich entschuldigend aus der Bredoullie manövriert. „( Kizetsu ist wieder Dittrich, der homo politicus.“) Immerhin läßt das Rückschlüsse zu. Doch welche? Ist Dittrich schon zum homo politicus verkommen? Hat er heute wirklich Einsicht? Einsicht in was eigentlich? In seine politische Meinung, die den Etablierten nicht paßt?

Wissen Sie, was ein Rabulist ist? Mit argumentativen Spitzfindigkeiten und dem Anhäufen immer neuer Fakten mit der Hilfe des Internets, ist es des Establishments (Parteien, konservative Magazine) beste Chance, sich im Internet zu behaupten. Das sind nämlich für Konservative unsichere Gewässer; die Piraten leben da. Wenn Sobach „brisante politische Datenspuren“ im Falle Maurers auftreibt, fragt sich, wo die Brisanz liegt: In ihrer angeblich der fehlenden politischen Korrektheit oder in der Möglichkeit politischer Verunglimpfung? Das sind verschiedene Dinge. Die Transparenz des Artikels überläßt es immerhin dem Leser über die Person Jasmin Maurer zu urteilen – auch wenn er ihm erhöhtes Kritikvermögen abverlangt.

Die vielleicht ungewollte Zurschaustellung Maurers Vorlieben und Lebenseinstellungen sind gerade das was Wähler unter Transparenz verstehen: Maurer entpuppt sich als Mensch, als fehler- und lasterhaftes Wesen (ohne ihr irgendetwas unterstellen zu wollen) und damit als einer von „uns“. Und wenn sie in ihrer politischen Karriere, nachdem sie gewählt wurde, Rechtfertigungen anzubringen hat, ist sie allemal transparenter als die altgedienten Rabulisten der politischen Landschaft.

Vielleicht ist der Umstand, daß die Piraten die Dinge mehr „naivisieren“ als zu verkomplizieren genau jene fehlende politische Eigenschaft, die den Wählern fehlt. Es ist eine feine Linie zwischen Verleumdung und Tatsachenaufdeckung. Es wird klar, daß CICERO ein enormes Problem mit „Populismus“ hat. Vielleicht wird es Zeit für seine Redakteure, den Begriff neu zu definieren. Der Herausgeber, Michael Naumann, legt seine fast-fatalistische Weltsicht dar, wenn er von den Piraten schreibt: „Dabei bleibt den Piraten selbst keine Wahl: entweder untergehen oder selbst Teil des „Establishments“ werden“. Ist dies das Geschreibe eines alten Mannes oder hat er recht? Die Piraten versuchen zumindest, abseits ausgetretener Pfade der Politik zu gehen. Ihre politische Fähigkeit muß die Partei, wie auch das Mädchen aus dem Saarland noch unter Beweis stellen.